Alexandre Schmidt

FDP-Gemeinderat Alexandre Schmidt hat auf Schritt und Tritt Ideen, was sich in Bern verbessern liesse.

Doch trotz Fleiss und Dossierkompetenz droht er system­bedingt zum grossen Verlierer der Wahlen zu werden.

Vor vier Jahren war Alexandre Schmidt der grosse Wahlsieger – an einem Tag, an dem seine Partei, die einst stolze FDP, bei den Parlamentswahlen den absoluten Tiefpunkt erreichte. Tschäppät, Wyss, Teuscher, Nause – mit ihrer Wahl hatten alle gerechnet. Schmidt aber – ein jungenhafter Baselbieter mit gerade mal zwei Jahren Erfahrung im Stadtrat – musste SVP-Dauerkandidat Beat Scho­ri ausstechen. Unermüdlich war Schmidt auf die Strasse gegangen, hatte im Parlament einen Vorstoss nach dem anderen ein­gereicht. «Die Ideen sprudeln nur so aus ihm heraus», hiess es 2012 im Wahlporträt dieser Zeitung.

Nach der Wahl machte Schmidt als Finanzdirektor einfach so weiter: Er sprudelte, wann immer er dazu Gelegenheit erhielt. Und notfalls verschaffte er sich diese selber. Ob er den Flüchtlingskindern in der ehemaligen Feuerwehrkaserne den Innenhof auf­sperrte, in Riedbach einer durch ein BLS-Bauprojekt bedrohten Bauern­familie via Berner Zeitung «die Hoffnung zurückgab» oder am 1. Mai als einziger Stadtangestellter zur Arbeit ging – Schmidt weiss sich zu inszenieren. Im Wortsinn sprudeln liess er es im März, als er den neuen Staatswein aus dem Mosesbrunnen ausschenkte.

Ob bei Flüchtlingen, einer Bauernfamilie oder mit Wein.

Freudensprünge

Schmidt kann nicht anders. Einfach so bei einem Hobby zu posieren, wie es das Bildkonzept dieser Porträtserie ist – das wäre eine verpasste Gelegenheit. «Mein Hobby ist es, durch die Altstadt zu schlendern und mir zu überlegen, was man verbessern könnte», sagt er also. Am Münsterplatz zeigt er, von wo aus sich ein Platzcafé mit kurzen Wegen betreiben liesse: «Hinter dieser Mauer ist die Cafeteria der kantonalen Finanz­direktion, es bräuchte bloss eine neue Tür.»

Am Zytglogge will er «die ärgerliche Turmtür offen halten, damit wir den Touristen das fast älteste funktionierende Uhrwerk Eu­ropas permanent auch von innen zeigen können». Schliesslich merkt er selber, wie «hobbylos» das alles daherkommt. «In der Altstadt kann ich entspannen», schiebt er nach. «Sie ist mein Kraftort.»

Als würde er einen Kraftort brauchen. Energie schöpft er aus seinem Amt, in dem er sich «pudelwohl» fühlt, wie er gern betont. Auf dem Weg ins Büro mache er oft vor lauter Freude einen Hüpfer, erzählt er. Das Verrückteste daran: Man glaubt es ihm.

Schlaumeiereien

Im Gemeinderat vertritt Schmidt mit Reto Nause (CVP) die bürgerliche Minderheit. Diese hält er zumindest rhetorisch bei Laune, wenn er sich mal wieder «rot und grün» über etwas ärgert oder sich als «liberaler Stachel» in einer rot-grünen Welt inszeniert, der ein «linker Einheitsmensch» vorschwebe, «der Velo fahrende Genossenschafter».

Gern weist der Finanzdirektor darauf hin, dass die Stadt unter seiner Ägide jeweils den höchsten Überschuss aller Schweizer Gemeinden erzielt habe. «Während andernorts die Steuern erhöht werden müssen, spricht bei uns im Wahlkampf kein Mensch über Finanzen.» SP-Stadtrat Michael Sutter dagegen wirft ihm eine «Politik der leeren Kassen» vor. «Schmidt hat die Steuereinnahmen bewusst jedes Jahr zu tief budgetiert und so einen künstlichen Spardruck erzeugt.»

Schmidt streicht lieber das Positive hervor: «Wir haben in den letzten beiden Jahren 100 Millionen Franken Schulden abgebaut und jährlich 14 Millionen Betriebskosten eingespart.»



Etwa zur Hälfte der Legislatur etablierte sich bei Mitte-links der Eindruck, Schmidt hintertreibe die politische Mehrheit. Kritiker warfen dem Aufgedrehten vor, überdreht zu haben: Im Wohnungsbau hätten er, seine Direktion und der von Schmidt präsidierte Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik «Buebetrickli» gemacht, «Schlaumeiereien», Ver­­­zögerungsmanöver. Dass Schmidt den Skandal um vergünstigte Wohnungen – ein jahrelanges Versäumnis seiner Direktion – zum Anlass nahm, den von seiner Partei geforderten Systemwechsel zu lancieren, goutierten ebenfalls nicht alle.

Heute sehen Kritiker «Anzeichen, dass sich Schmidt damit abgefunden hat, dass er den Wohnungsbau nur gemeinsam mit gemeinnützigen Wohnbauträgern voranbringen kann». Allerdings höre man munkeln, dass auch bei aktuellen Wett­bewerbsausschrei­bungen der erste Entwurf nicht immer den Vorgaben der Mehrheit entsprochen habe. Nicht versöhnt hat sich SP-Mann Sutter mit Schmidt. Dieser brüste sich nun mit Blick nach links mit Projekten, die er lange sa­botiert habe. «Im Warmbächli ­würde wohl bereits gebaut, wenn Schmidt das Dossier mit Überzeugung bearbeitet hätte.»

Es sei richtig gewesen, sich beim Dossier Warmbächli Zeit zu nehmen, entgegnet dieser. Nun liege ein Mustervertrag vor, von dem alle weiteren Genossenschaften profitieren würden. Und überhaupt: Noch nie habe die Stadt mehr Areale entwickelt als jetzt, noch nie mehr Zwischennutzungen gehabt.

Kaum bestritten wird, über das Ganze gesehen: Schmidts Output ist gross, und er hat seine Dossiers bis in die Details im Griff.

Schmidts Output ist gross.

Dezemberpläne

Der 46-jährige, zweifache Familienvater spielt seit einem Vierteljahrhundert in der Politik mit. 20 war er, als er in Binningen mit Freunden die Junge Liste gründete, 22, als er der FDP im Einwohnerrat einen Sitz abjagte. In Genf und Lausanne studierte er internationale Beziehungen und Verwaltungswissenschaft, er war persönlicher Mitarbeiter der FDP-Finanz­minister Villiger und Merz, führte die Eidgenössische Alkoholverwaltung.

Mehr Gestaltungsmöglichkeiten als in seinem heutigen Amt hatte er nie. Die wegen des Proporzwahlsystems drohende Abwahl träfe ihn hart, stellt man sich vor. Bis jetzt sei er «total ruhig», sagt Schmidt. «Ich weiss, dass ich mich mit dem, was ich geleistet habe, zeigen kann.» Seine FDP sei «die Regierungspartei schlechthin», während die städtische SVP leider weder reformorientiert noch integrierwillig sei.

Schmidt flüstert es bloss, an­gesprochen auf die mögliche Abwahl: «Ich bin 46, mein Leben wird weitergehen.» Dann fährt er mit normaler Stimme fort, er spricht nicht bloss von der Wiederwahl, sondern sieht sich gleich noch als neuer Stadtpräsident: «Mit der Zukunft beschäftige ich mich erst im Januar – im Dezember muss ich mir ja langsam über­legen, wie ich den Erlacherhof einrichte.» Übermütig, der Aufgedrehte.

«Im Dezember muss ich mir ja langsam über­legen, wie ich den Erlacherhof einrichte.»

Bilder: Beat Mathys
Text: Christoph Hämmann
Umsetzung: Claudia Salzmann
Video: Claudia Salzmann

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