Ursula Wyss

Kaum jemand zweifelt daran, dass Ursula Wyss (SP) die fachlichen Qualitäten hat, um Berns erste Stadtpräsidentin zu werden.

Als Person aber weckt sie bei ihren Kritikern ähnliche Aversionen wie der Mann, in dessen Fussstapfen sie treten will.

Ursula Wyss ist eine Frau, die weiss, was sie kann. Eine Frau, die weiss, was sie will, und das auch durchsetzt. Als arrogant und machthungrig bezeichnen sie Kritiker – und zwar sowohl männliche als auch weibliche. Bei vielen von ihnen darf man getrost davon ausgehen, dass sie die gleichen Charakterzüge bei einem Mann positiv werten würden. Ein Herr Wyss wäre selbstsicher, zielstrebig und führungsstark. Unabdingbare Eigenschaften für einen Stadtpräsidenten. Pardon. Eine Stadtpräsidentin.

Die Kronprinzessin

Ursula Wyss war Stadtpräsidentin, bevor sie als Gemeinderätin gewählt war. An der Nominationsversammlung der SP Stadt Bern vom 13. Februar 2012 wurde sie von Alexander Tschäppät bereits als seine Nachfolgerin ­herumgereicht. «Ich freue mich, ihr Ende 2016 mein Büro im Erlacherhof übergeben zu können», sagte Tschäppät. Seither ist es, als ob Wyss ein Post-it auf dem Rücken kleben hätte: «Berns erste Stadtpräsidentin». Ein gefundenes Fressen für ihre Gegner, die sagen, diese Frau habe ihre Politkarriere knallhart geplant. Dieser These widerspricht Wyss immer wieder vehement. So zum Beispiel bei ihrem Abschied aus dem Nationalrat im Dezember 2012. «In der Politik lässt sich die Karriere nicht planen», sagte sie damals im Interview mit dieser Zeitung. Es seien die Wählerinnen und Wähler, die über die Laufbahn von Politikern entscheiden würden.

Dass sie von andern derart früh für die Tschäppät-Nachfolge in Position gebracht worden sei, habe ihr nicht gefallen. «Es hat auf viele Leute überheblich gewirkt.»

Politkarriere knallhart geplant?

Die Erfolgsverwöhnte

Lange Zeit sprach alles dafür, dass Ursula Wyss einfach durchmarschieren würde auf ihrem Weg in den Erlacherhof. Mit 23 Jahren Grossrätin, erste Jung­sozialistin im Nationalrat, ab 2006 SP-Fraktionspräsidentin – ob geplant oder nicht, ging die politische Laufbahn der Ökonomin wie durch Butter. Und während Tschäppät Lumpeliedli über Christoph Blocher sang, zog Fraktionschefin Wyss im Bundeshaus die Fäden für die Abwahl des SVP-Bundesrates und stand im nationalen Rampenlicht.

Nahtlos knüpfte Wyss auf städtischer Ebene an. 2012 wurde die Neue mit dem besten Resultat in den Gemeinderat gewählt und traf ihrerseits eine viel diskutierte Wahl: Sie schnappte sich die Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün (TVS), die auch ­ihre grüne Gemeinderatskollegin Franziska Teuscher gerne übernommen hätte.

Die Veloförderin

Ursula Wyss schaukelte ihr erstes Regierungsamt und den zu Beginn der Legislatur erst anderthalbjährigen zweiten Sohn scheinbar problemlos. Der grosse Wurf fehlte, aber nennenswerte Fehler leistete sie sich auch keine. Ihre grösste Niederlage war bloss eine halbe: Das Tram Region Bern scheiterte am Nein aus Köniz und Ostermundigen, die Stadt stand hinter dem Projekt.

Für die grösste Aufmerksamkeit sorgte die von Ursula Wyss angestossene Velooffensive und hier vor allem ein Teilprojekt: die geplante Fussgänger- und Velobrücke über die Aare zwischen der Länggasse und dem Breitenrain. «Damit will sich Wyss ein Denkmal setzen», werden die Gegner des Projekts nicht müde zu betonen. Nur: Die Idee für eine Velobrücke gab es lange vor Veloförderin Wyss. Bereits 2003 wurde ein solches Projekt im Auftrag des kantonalen Tiefbauamts geprüft. Präsident des Fördervereins Panoramabrücke ist im Übrigen Stapi-Konkurrent Alec von Graffenried (GFL).

Durch ihre erste Amtszeit arbeitete sich Ursula Wyss unspektakulär, aber fleissig und dossiersicher. Darum fragte man sich: Wer, wenn nicht sie, sollte Tschäppät beerben?

Doch letztes Jahr schlitterte das seit 24 Jahren eingespielte Rot-Grün-Mitte-Bündnis (RGM) in eine Beziehungskrise. Auch die grünen Partner GB und GFL meldeten ihre Ambitionen für das Stadtpräsidium an. Wyss’ Ankündigung im August 2015 machte die Sache auch nicht besser: Ja, sie kandidiere als Stadtpräsidentin, gab sie bekannt und bekam Schelte von GB und GFL, die ihr «Vorpreschen» kritisierten.

Unspektakulär, aber fleissig und dossiersicher.

Die Souveräne

Wyss war es aber auch, die an der alles entscheidenden SP-Versammlung diesen Mai eine flammende Rede hielt für den Fort­bestand der RGM-Partnerschaft. Nur so könne die rot-grüne Politik in der Stadt Bern konsequent weitergeführt werden, rief sie den Genossinnen und Genossen in Erinnerung. Die Kronprinzessin reagierte äusserst souverän auf die Konkurrenz aus der eigenen RGM-Familie.

Souverän ist die 43-Jährige auch während des Wahlkampfs geblieben. Ihre Botschaft ist stets die gleiche: Die Wählerinnen und Wähler entscheiden, wer Stapi wird.

Mit Franziska Teuscher hat Ursula Wyss eine gemeinsame Frauenkampagne gestartet. «Wir wollen hervorheben, dass Bern ab nächstem Jahr seine erste Stadtpräsidentin haben kann.» Das sei doch «ein historischer Moment», sagte Wyss. Die bösen Kommentare folgten postwendend. Wyss lacht ihr schallendes Lachen und sagt: «Bei gewissen Leuten kann ich machen, was ich will, die regen sich eh über mich auf.»

Die Unbeliebte

Ursula Wyss wird nie der Liebling aller sein. Kritik hört man über ihren Führungsstil. Sie lasse ihren Fachleuten zu wenig Raum. Hoch gelobt wird ihre Intelligenz, ihr taktisches Geschick, ihre Arbeit wird allgemein res­pektiert.
Als Person aber weckt sie bei ihren Gegnern ähnliche Aver­sionen wie der Mann, in dessen Fussstapfen sie treten will. Erstaun­licherweise sind Frauen ihre bissigsten Kritikerinnen. Wyss sei «zu forsch», «drängt sich in den Vordergrund», komme «zu selbstbewusst» rüber – diese Aussagen stammen alle von Frauen. Damit könne sie umgehen, sagt Wyss. «Wenn ich von allen geliebt werden wollte, könnte ich diesen Job nicht machen.»

Ganz gleichgültig scheint es aber auch ihr nicht zu sein, was andere über sie denken. Man hat den Eindruck, dass sie durchaus an ihrem Auftreten arbeitet und sich bemüht, locker und zugänglich zu sein. Manchmal wirkt das angestrengt. Es ist unvorstellbar, dass Ursula Wyss in der Öf­fentlichkeit einen Tschäppät-Moment haben könnte. In ihrer Rolle als Gemeinderätin und seit Jahren Berufspolitikerin behält Wyss stets die Kontrolle. Privatperson sei sie daheim, bei ihrer Familie, sagt sie. Entspannen kann sie sich auch an einem gemütlichen Abend mit Freundinnen und Freunden (Video siehe oben).

Ursula Wyss sei «leider ein Profi», betitelte die «NZZ am Sonntag» ihr Wahlporträt. Ein Profi? Eigentlich keine schlechte Voraussetzung für eine Stapi.

Stets die Kontrolle behalten.

Bilder: Stefan Anderegg
Text: Mirjam Messerli
Umsetzung: Claudia Salzmann
Video: Florine Schönmann

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