Die Institutionen

Was Berner wirklich wollen. Was Rechte in der Reitschule machen. Wie träge Menschen Mainstream schaffen.

«Zu viel Angebot kann es fast nicht geben. Wichtiger fürs Geschäft ist das Ausgehverhalten der Bernerinnen und Berner.»
Pumba, Reitschule

«Etwas Experimentelles in der Aareschlaufe? Ich würde es nicht wagen.»
Diego, Kapitel

«Mit vollem Haus auf Dancefloor umzustellen und Eintritt zu verlangen, ist schwierig.»
Mich, Turnhalle

1. Akt

Es ist Punkt 13 Uhr, als Diego Dahinden die Taube betritt. 900 Meter sind es von seinem Club am Bollwerk in die Rathausgasse – dazwischen liegt das Gros des Berner Nachtlebens: Le Ciel, Rondel, Turnhalle, Bonsoir, Propeller und wie sie alle heissen. Diego begrüsst Ben mit einem Handschlag und bestellt Espresso ohne Crème. «Ihr habt gute Cocktails hier. Und eine massive Bar.» Er zeigt auf die Regale voller Spirituosen hinter Barkeeper Ben. «Massive Eiche!», ruft Ben aus dem hinteren Teil des Lokals. Als der Kaffee auf dem Tresen steht, legen die beiden los.
Ben: Mein neuer Mitbewohner kommt aus Slowenien und findet das Berner Nachtleben huere geil. Die vielen guten Beizen, die verschiedenen Bars und Clubs, klassisch, modern, elektronisch und so weiter. Und um drei Uhr morgens kriegst du in der Aarbergergasse noch einen Kebab, der richtig schmeckt.
Diego: Aber Bern ist kein Clubzentrum. Elektroclubs mit überregionaler Ausstrahlung gibt es in Basel oder in Zürich . . .
Ben: . . . in Freiburg das Fri-Son.
Diego: Ja, aber nach Bern kommt man nicht von weit her. In die Reitschule vielleicht bei gewissen Sachen. Wenn du Leute aus an­deren Zentren anlocken willst, musst du richtig grosse Sachen machen.


Diego Dahinden über den Berner Nachtschwärmer.

Ben pflichtet dem bei.
Diego: Du kannst einen abgefahrenen japanischen House-Musiker buchen, der uhuere guet isch, aber es kommen doch nur zwanzig Leute. Und du kannst ein lo­kales Label buchen, von dem man fast jedes Wochenende einen in Bern sieht, und der Laden ist brätschvou. Diese mangelnde Experimentierfreudigkeit, das ist schon schade.

Mich Szedlak von der Turn­halle lässt ausrichten, dass er sich verspätet. Er habe Lichterketten aufgehängt und dabei die Zeit vergessen. Ben und Diego findens lustig.

BZ: Stichwort Turnhalle. Nervt es, dass sie gratis ist und so viele Leute anzieht?
Diego: Sie bieten ja was ganz anderes als wir. Wenn du tanzen und eintauchen willst, gehst du nicht in die Turnhalle. Das merken sie, wenn sie mal Eintritt verlangen. In die Turnhalle gehst du zum Schnure, zum Leutetreffen und Was-Trinken. Später am Abend kommen dann viele zu uns. Es hat sich alles nach hinten verschoben. Die Liberalisierung der Öffnungszeiten hat massiv was verändert.
Ben: Um diese Zeit gibt es nicht mehr viele Alternativen. Wenn wir um 4 Uhr diskutieren, wo wir noch hinkönnten, bringt immer jemand das Kapitel ins Spiel. Klar, es gibt ein paar andere Sachen, aber geht man da wirklich hin?
Diego: Das ist eben das Riesenproblem: Die Berner sind so ­träge!
Ben lacht.
Diego: Nein, echt. Die Leute gehen nicht mal in die Matte runter. Zehn Minuten vom Bahnhof! Dabei würde es dem Nachtleben mega guttun, wenn sich die Leute mehr bewegen würden. Hier oben im Zentrum sind die Mieten immens, da musst du mit Businessplan arbeiten und hast wenig künstlerischen Spielraum. Etwas Experimentelles in der Aare­schlaufe? Ich würde es nicht ­wagen.

Die Tür öffnet sich, und Christoph Ris, genannt Pumba, tritt ein. Er küsst Diego auf die Wange, sagt Ben Hallo und bestellt eine Cola. Pumba arbeitet im Dachstock, dem grossen Konzertsaal der Reitschule. Gerade hat er eine Grossratsdelegation durch die Räume des Kulturzentrums geführt.
Diego: Alles Linke?
Pumba: Nein nein, bis gaaanz weit rechts. Alle so mit Berner Pins und Abzeichen. Verrückt. Aber sie waren interessiert – vor allem an den Sicherheits­aspekten.
Diego: Wir hattens gerade von der überregionalen Ausstrahlung der Reitschule.
Pumba: Vom Vorplatz? Das ist halt ein einziger grosser Jugendraum, der den Käffern rund um Bern fehlt.
Diego: Eher musikalisch. Die Leute kommen von weit her an eure Konzerte.
Pumba: Ja, manchmal wären weniger Leute vielleicht sogar besser. Die Besucherströme sind jenseits bei uns.
Diego: Das sind ja Tausende, die jedes Wochenende auf dem Vorplatz sind . . .
Pumba: . . . und trotzdem ist der Dachstock manchmal halb leer. Schon schräg. Aber es ist wichtig, dass die Jungen einen Platz haben, wo sie sein können, ohne konsumieren zu müssen oder ständig kontrolliert zu werden. Als wir mit 15 nach Bern gingen, hingen wir nächtelang auf der Pläfe rum. Das geht heute nicht mehr, weil sie früh schliesst. Die Freiräume sind weniger geworden in der Stadt. Da kommen halt alle zu uns.
BZ: Diego, ihr feiert im Kapitel fünfjähriges Jubiläum. Gehört ihr zu den Alten?
Diego: Das Nachtleben ist schnelllebig. Es gibt ein paar ­Institutionen wie die Dampfzentrale oder das Hübeli, die ­jahrelang funktionieren. Aber wenn du einen Club privat führst, bist du nach zwei Jahren eta­bliert. Nach fünf Jahren bist du schon . . .
BZ: Uralt?
Diego: Ha, nein. Aber man muss schon schauen, dass man den Generationenwechsel schafft. Am Anfang sind alles Freunde und im gleichen Alter, und dann stehst du plötzlich im Club und merkst: Ich kenne fast niemanden mehr.
Pumba: Bei mir ist das noch ex­tremer, wenn ich auf dem Vorplatz stehe.
Alle lachen.
BZ: Ist die Reitschule für die Jungen überhaupt noch politisch oder vor allem Party?
Pumba: Als ich das erste Mal hingegangen bin, hiess es unter den Kollegen noch: Wow, du gehts in die Reitschule? Heute ist es normaler, weniger ein Statement. Aber die Reitschule ist nach wie vor ein extrem politisches Haus mit klaren Haltungen.

Michael Szedlak tritt ein, schüttelt allen die Hände und setzt sich neben Diego und Pumba an die Bar. Er bestellt eine Cola mit Eis und Zitrone.
BZ: Mich, ihr wart schon Teil des Gesprächs. Die Turnhalle ist eine Institution und lockt sehr viele Leute an. Aber wenns mal Eintritt kostet . . .
Mich: Genau. Das hat damit zu tun, dass wir mal eine reine Café-Bar waren und fast nie Party hatten. Dann kam das Bedürfnis, hin und wieder Eintritt zu verlangen, um etwas teurere DJs zu enga­gieren. Manchmal wärs schon cool, wenn wir ein spannenderes Programm hätten. Aber wenn wir am Samstagabend voll sind ohne Programm, dann ist es sehr schwierig, auf Dancefloor umzustellen und Eintritt zu verlangen. Das schreckt die Leute ab.


Mich Szedlak über das Verhältnis seiner Turnhalle zur Reitschule und Kapitel.

BZ: Ihr habt so eine gute Lage, da funktioniert doch eigentlich alles. Löst das Neid aus?
Mich: Als das Lehrerzimmer gleich nebenan aufging, spürte man ein bisschen die Konkurrenz. Aber ich glaube, die ist in Bern meistens belebend.
Pumba: Zu viel Angebot kann es fast nicht geben. Wichtiger fürs Geschäft ist das Ausgehverhalten der Bernerinnen und Berner. Das ist manchmal nicht in Worte zu fassen.


Christoph Ris über die Unberechenbarkeit der Nachtschwärmer.

Mich: Echt unglaublich . . .
Diego: Es gibt Abende, an denen alle grosse Partys veranstalten und du richtig Schiss hast, dass niemand kommt. Aber dann läuft der Abend super.
Pumba: Und Anlässe, da bist du dir sicher, dass sie ausverkauft sind, und es kommen nur hundert Leute. Da chunnsch eifach mängisch nid drus.

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