Wenn zwei Nachbarn sich streiten

In Rubigen bei der Familie Buchs gibt es keinen Streit. Ausser unterschiedliche Ansichten bei der Gartengestaltung.

Im Oberfeld in Ostermundigen gibt es einen Garten für alle Bewohner. Der gibt selbst beim Fussballclub zu reden.

«Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt», schrieb Friedrich Schiller in seinem «Wilhelm Tell». Aber meistens braucht es zwei für einen Streit. Dies lehrt die Erfahrung Irene Graf. Sie schlichtet solche Nachbarstreitigkeiten bei der Schlichtungsbehörde Bern-Mittelland.

Die Juristin ist eine von 17 Vorsitzenden der vier regionalen Schlichtungsstellen, die es seit 2011 gibt. Sie wurden eingeführt, um die Gerichte zu entlasten. Eine für diese Zeitung erstellte Hitparade zeigt, dass sich Nachbarn am häufigsten in die Haare geraten wegen ihrer Gärten, wegen Rauch oder Lärm und wegen alter Wegrechte (siehe Box).

Gespräch in Gang bringen

Das professionelle Vermittlungsangebot des Kantons ist betont niederschwellig: «Ein Brief an uns genügt. Wir laden dann die Gegenpartei zur Verhandlung ein», sagt Graf. In der Regel kostet eine Schlichtung bei Nachbarstreitigkeiten 600 Franken.

Vor dem Gericht muss die Schlichtungsbehörde angerufen werden, auch wenn diese bei Nachbarstreiten selten wie ein Gericht entscheiden kann. Erscheint der Beklagte laut Graf nicht, hat dies für ihn vorerst kaum Folgen.


Irene Graf, Juristin

Vielleicht gerade deshalb haben die Parteien ihre Emotionen meist im Griff am Schlichtungstermin. Böse Blicke und zähes Schweigen liessen dennoch tief blicken. Das Gespräch sei davor oft abgebrochen, eingeschriebene Briefe und Anwälte an dessen Stelle getreten, erzählt Graf. Sogar die Kinder kriegten den Streit zu spüren. Manchmal dürften sie nicht mehr miteinander spielen.


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Schlichten ist auch Mediation: Graf tastet sich schrittweise vor und versucht herauszufinden, worum es im Kern geht. Sehr oft schwelt unter dem eigentlichen Streitgegenstand Neid, Unverständnis für den Lebensstil des anderen oder angesammelter Frust. «Wo möchten Sie in einem Jahr stehen im Verhältnis zueinander?», fragt Graf jeweils. Als probates Instrument erweist sich auch, was Graf die «Zauberstabfrage» nennt: «Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was müsste sich ändern?» Die andere Partei wiederholt dann, wie und ob sie die Gegenpartei verstanden hat.

«Innert zweier Stunden finden wir entweder eine Lösung, vertagen sie oder stellen das Scheitern der Schlichtung fest», schildert Graf. Ersteres endet in einer Vereinbarung, Letzteres in einer Klagebewilligung. Dann kommt es zum Gerichtsverfahren, verweigert eine der Parteien das Schlichtungsverfahren, sowieso.

Top 3 der Hitparade:

Garten: Der Gartenkonflikt kann sich an einem Baum entzünden, der die Aussicht der Nachbarn verstellt – oder der plötzlich gefällt wurde, obwohl er so schön war. Es können Äste sein, die über den Hag wachsen oder deren Laub den Dachkännel verstopft, auch Blumenwiese kontra englischer Rasen schafft immer wieder Zwist.

Rauch/Lärm: Qualmende Schornsteine auf dem Haus nebenan gipfeln im Vorwurf, der Nachbar sei ein Abfallsünder. Ebenso können Hundegebell und Kindergeschrei oder ein rauschendes Fest im Streit enden.

Wegrechte: Im Grundbuch stehen Wegrechte häufig, zu Streit Anlass geben sie zum Glück seltener. Solche Konflikte entwickeln sich typischerweise zwischen Alteingesessenen und Zuzügern. Die oft jahrzehnte- oder gar jahrhundertealten Wegrechte regeln die Fremdbenutzung von Privateigentum. Die Schwierigkeit ist dann beispielsweise, eine Berechtigung für ein Befahren mit Fuhrwerken auf die heutige Zeit zu übertragen.

Auch in Rubigen und Ostermundigen bei den beiden Familien, die wir durchs Jahr begleiten, gibt es unterschiedliche Meinungen zur Gartengestaltung und -ordnung:

Hohe Erfolgsrate

Privatgrundstücke scheinen häufiger Streit auszulösen als Gemeinschaftsräume, beobachtet Graf. Das erstaunt sie eigentlich nicht: Wo es kein «Mein und Dein» gebe, müsse auch nichts verteidigt werden. Schlichten ist zwar anstrengend, aber reich an Erfolgserlebnissen. 85 Prozent der Nachbarstreitigkeiten, die die Schlichtungsstelle Bern-Mittelland bearbeitet, können beigelegt werden.

Allerdings machen sie nur einen kleinen Teil der Schlichtungsverfahren aus, nämlich 1 bis 2 Prozent der jährlich 2000 bis 3000 Verfahren, welche die ­regionale Schlichtungsbehörde Bern-Mittelland durchführt.

Manchmal hat aber Schiller recht mit dem, was er vor über 200 Jahren über böse Nachbarn festhielt. Pech haben nämlich jene, die es mit einem notorischen Störenfried zu tun bekommen. «Störenfriede sind zwar selten. Aber es gibt sie», meint Graf. Dann bleibt am Ende oft nur noch der Wegzug, frei nach dem Sprichwort: Der Klügere gibt nach.

Auch Skurriles gibt Beschwerden:

Protokollierter Gockel: Ein entnervter Nachbar überführt einen zur Unzeit lärmenden Gockel mit einem detaillierten Krähprotokoll. Dessen Eigentümer erscheint nicht einmal zum Schlichtungstermin. Nun treffen sich die Streithähne vor dem Richter.

Fittes Pferd auf Laufband: Aus Mangel an Auslauf lässt ein Pferdehalter sein Pferd auf einem Laufband trainieren. Der Lärm stört die Nachbarn, die ­klare Trainingszeiten erwirken können. Das Verfahren scheitert dann, weil die Kläger auch für das Pony Vorgaben erreichen wollen.

Ballernde Golfer: Anwohner einer Golf-Driving-Range befürchten Schäden auf ihrem Grundstück wegen nieder­gehender Golfbälle. In diesem Fall gelingt die Schlichtung, indem der Grenzzaun erhöht wird.

Text: Christoph Aebischer
Videos/Fotos: Claudia Salzmann
Illustration: Max Spring

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