Sarteneja, la calma

Sarteneja liegt neben Shipstern, einem Naturreservat, das von Kerzers in der fernen Schweiz aus geführt wird.

Hier im Dorf gibt es zehn Kirchen, staubige Strassen und eine Tacofabrik.

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In der Küche, die weder Fenster noch Türen hat, steht Rosita Verde und knetet Teig. Dann giesst sie Kokossaft in die Masse. Wenn die 69-Jährige spricht, leuchten ihre Augen und verraten, dass sie einiges erlebt hat. Ihr Mann ist vor zwei Jahren gestorben, mit ihm zeugte sie zehn Kinder. «Vier Mädchen und sechs Buben. Alle wohnen im Dorf, bis auf eine Tochter, die nach England gezogen ist», erzählt sie stolz. Rosa, wie sie alle nennen, wohnt mit drei ihrer Grosskinder am Dorfrand von Sarteneja im Norden von Belize. Wie viele Menschen hier leben, kann niemand genau sagen. Auch der Gemeindepräsident nicht, er wohnt in der Hauptstadt Belize City. In Sarteneja gibt es einen Pier, der in milchfarbenes Meer hinausragt. Bläst der Nordwind nicht, ist das Wasser türkisblau. Das Dorf hat 12 Homestays mit jeweils einer Handvoll Betten, zehn Kirchen, staubige Strassen und eine Tacofabrik. Ein Hotel mit 16 Zimmern ist im Bau. Die meisten Menschen heissen Cruz. Oder Verde wie Rosa Verde.

Rosa Verde formt Brötchen, unter dem Küchentisch liegen zwei faule Hunde, um den Tisch springen die Buben Zair und Rick und ihre Schwester Odessy putzt das Backblech. Bald nachdem die Brötchen im Ofen sind, liegt Kokosgeruch in der Luft. Manchmal steht Rosa um 4.30 Uhr auf und bäckt «Johnny Cakes», wie die Brote heissen, die ihre Grosskinder Zair und Odessy vor der Schule in der Nachbarschaft verkaufen. «Das mache ich aber nicht jeden Tag, weil es sie zu müde macht», sagt sie.

Allerdings hat Verde nicht ihr ganzes Leben hier verbracht. Sie wurde im Dorf Shipstern geboren, das rund 12 Kilometer von Sarteneja im Landesinneren liegt. Der Ort wie auch weite Teile von Belize, das damals noch British Honduras hiess, wurden vom Hurrikan Janet im Jahr 1955 komplett zerstört:

Aus dem Park vertrieben

Weiter vorne im Dorf wohnt der Schlangendoktor Juan Baptista Perez. Fünfzig Menschen hat er nach Schlangenbissen das Leben gerettet, und selber wurde er schon zweimal gebissen. «Ich hatte glücklicherweise Medizin dabei, die hab ich sofort genommen, sonst wäre ich wohl erstickt. Als ich daheim ankam, hab ich meiner hochschwangeren Frau nichts gesagt, damit sie sich nicht aufregt», erinnert sich der heute 89-Jährige.

Der Wirbelsturm Janet, der 1955 allein in Belize 20'000 Menschen obdachlos machte und insgesamt 16 Menschen tötete, ruft auch bei Perez Erinnerungen wach. Er verbrachte die Sturmnacht im Schulhaus, damals das einzige Gebäude, das aus Beton gebaut war. «Das Wasser war hüfthoch, überall im Dorf schwammen Fische und Boote wurden weit nach hinten getrieben», sagt Perez.

Gerne spricht er über seine Tätigkeit als Schlangendoktor, doch noch lieber über Religion. Seine Töchtern schimpfen mit ihm, als sie sein Missionieren bemerken. Und so kehrt er zurück zum Thema: Für seine Medizin gegen Schlangenbisse ist der Wald – el monte, wie ihn die Einheimischen nennen – sehr wichtig:

Sarteneja sei früher sehr arm gewesen, aber die Regierung habe danach geholfen, alles wieder aufzubauen und Betonhäuser zu bauen. «Vorher gab es hier viel Landwirtschaft, aber danach sind die Leute auf die Fischerei umgestiegen. Das hat Geld gebracht», sagt er. Früher habe man sogar noch in der Lagune gefischt, doch das ist heute verboten, weil sie im Naturreservat Shipstern liege.

Manche Menschen der älteren Generation sind gegenüber dem «Mariposa» - Schmetterling -, wie das Shipstern vorher geheissen hat, kritisch eingestellt. Perez vermutet, dass das Reservat unter Aufsicht der Regierung ist. Er ist skeptisch, wie auch Rosita Verde, die vermutet, dass «Gringos» - Amerikaner - das Reservat führen. Aber die Leitung kommt von weit, weit weg, genauer gesagt aus Kerzers.

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