Erich Hess

Er ist laut, direkt, provokativ, uneitel und wäre gerne Berns neuer Sicherheitsdirektor.

Erich Hess (SVP), der rechteste Politiker in der linksten Stadt der Schweiz, kandidiert für Berns Exekutive.

Der ehemalige Lehrling ist wieder da. Erich Hess klettert aus der Kabine des Lastwagens und geht zur Werkstatt hinüber. Seine Besuche in Bundkofen bei der Affolter Transporte AG, wo er vor 19 Jahren die Lehre gemacht hatte und geblieben ist, sind selten geworden. «Ist lange her», sagt der Arbeitskollege zu Hess. Die Bise zieht, Hess steht mit hochgekrempelten Hemdsärmeln da und überlegt, wann er zum letzten Mal Lastwagen fuhr.

Zuerst war in Bern Herbstsession, danach musste er sich um seine Unternehmen kümmern. «Ja, ist eine Weile her», antwortet er schliesslich. Man könnte sagen, Hess sei nur noch fürs Image Chauffeur. Für sein Publikum. Für ihn ist das «Lastwägelen» ein Ausgleich, quasi ein Hobby. Für andere, richtige Hobbys fehlt ihm meist die Zeit.

Kein Wunder, ist seine Zeit knapp: Erich Hess, 35 und ledig, tanzt auf vielen Hochzeiten. Lastwagenfahrer, Unternehmer, Berner Stadtrat, bis vor kurzem noch Grossrat und seit einem Jahr Nationalrat. Nun möchte der SVPler auch noch in den Berner Gemeinderat. Hess kennt man.

In Bern, in der Schweiz, sogar im Ausland. Er ist berühmt. Und berüchtigt. Videos seiner Auftritte schauten sich im Internet Tausende an: Das ZDF hat ihn lächerlich gemacht, er war in schlüpfrigen Sendungen zu Gast, über ihn wurden Spottlieder geschrieben.

Reitschüler sind für ihn Lumpenpack

Der Mann lässt einen fremdschämen und staunen zugleich. Über seine Naivität oder Abgebrühtheit. So sicher weiss man das bei ihm nie. Wenn er sich also wieder mal auf eine Bühne wagt, wo andere sich längst in Grund und Boden schämen würden, dann nennt man das in Bern einen «Erich-Hess-Moment». «Ich versuche mich nicht gross zu verstellen», sagt er selber. Sein Standardsatz lautet: «Wenigstens hatten die Leute etwas zu lachen.» Eitel ist er nicht, der Hess.

Aber er ist berechnend. Seine Inszenierungen und Provokationen sind mehrheitlich geplant. Wenn er im Rat Chancen auf Mehrheiten sieht, dann hält er sich zurück. Wenn aber eh alles verloren ist, dann hält er drauf: Reitschüler sind für ihn Lumpenpack, das Verhalten von Asylbewerbern hat er mit jenem der Ameisen verglichen, eine Budgetdebatte im Stadtrat torpedierte er einst mit Sparanträgen bis drei Uhr nachts.

Ihm wird regelmässig das Mikro ausgeschaltet, er provoziert notorisch Buhrufe, manche beleidigten Ratskollegen redeten monatelang nicht mit ihm. Er habe noch keine Provokation bereut, sagt er. Dieser Mann will nun in Berns Exekutive. In ein Gremium, das sich an das Kollegialitätsprinzip zu halten hat. In ein Gremium, in dem Rot-Grün das Sagen hat.

Er kann auch konstruktiv

Er werde auch im Gemeinderat seine Anliegen verfolgen, sagt Hess: «Mit rationalen Argumenten und mit Kompromissen.» Das er auch konstruktiv kann, geht neben seinem Gepolter gerne vergessen. Etwa als er nach langem Hin und Her im Stadtrat zum Präsidenten der Aufsichtskommission gewählt wurde. Am Anfang traute man ihm das prestigeträchtige Amt nicht zu, am Ende erhielt Hess für seine pflichtbewusste, zuverlässige Amtsführung Komplimente von allen Seiten. Sogar von ganz links aussen.

Um das Kollegialitätsprinzip macht er sich jedenfalls keine Gedanken. Wenn er im Gemeinderat etwas ihm nicht Genehmes verkünden müsse, mache er das ja im Namen des Gremiums und nicht in seinem eigenen. Erinnerungen werden wach an Hess’ Parteikollegen Christoph Blocher.

Wenn dieser die Haltung des Bundesrates gegen aussen vertreten musste, wirkte er oft so säuerlich, als hätte er eine Werbeseife der Juso verschluckt. Hess indes würde beim Verkünden des nicht Genehmen zweifelsfrei sein Lausbubenlachen zeigen.


Das politische Profil von Erich Hess.

Sogar von links aussen kamen Komplimente

Hess als Sicherheitsdirektor

Hess findet sowieso, dass ein Gemeinderat in seiner Direktion vieles bewirken kann, ohne damit gleich vors Gesamtgremium zu müssen. Wo er viel bewirken könnte, weiss er jetzt schon. Der Weitrechtsaussen wäre gerne Sicherheitsdirektor der wohl linksten Stadt der Schweiz.

Bern ist ihm zu unsicher, zu unordentlich. Das wäre ziemlich genau die Direktion, in der Rot-Grün ihn nicht haben will. Bei der Reitschule würde er rigoros durchgreifen, sagt er. Unter ihm, so Hess, würden vor der Reitschule weder Drogenhandel noch unbewilligte Demos toleriert.

Es ist seine altbekannte Haltung, und kurz ertappt man sich beim Gedanken, dass man ihm etwas Neues, Ungewohntes gönnen würde. Etwa die Sozialdirektion. Dann müsste er Integrationspreise vergeben, Kitas besuchen, Sozialfälle managen. Die Frage ist, wer mehr zu bemitleiden wäre: die Sozialfälle oder der Sozialdirektor. Hess jedenfalls sagt, er würde jede Direktion nehmen, die ihm angeboten werde.

Bern ist ihm zu unsicher, zu unordentlich.

In Bern einen schweren Stand

Der gebürtige Emmentaler war einst aus Jegenstorf in die Stadt Bern gezogen, um hier zu politisieren. Mit vielem, was die Berner an ihrer Stadt lieben, fremdelt er noch heute: dem Velofahren, der Reitschule, Multikulti, um einige Dinge zu nennen. Umgekehrt haben sich viele Städter auch nach Jahren nicht an ihn gewöhnt. Für viele politisiert er eigentlich am falschen Ort.

In Bern wird er auf der Strasse angepöbelt. Höhepunkt der Anfeindungen: Im Sommer leerte ihm jemand ein Bier über den Kopf. Er laufe nach dem Motto «einstecken und weitermachen», sagt er. Aber Hess hat durchaus auch in Bern seine Anhänger: Jene, die sich wie er am linksgrünen Milieu stören, haben ihn in den Stadtrat gewählt.

Die SVP strebt bei den Gemeinderatswahlen das Restmandat an. Wer von ihnen gewählt werde, sei egal. «Bin ich es, ist gut, wenn nicht, ist auch gut», sagt Hess lapidar. Er will SVP-intern nicht als Favorit gelten. Warum, ist klar: Unterschätzt zu werden, ist sein Erfolgskonzept schlechthin.

Die Grossen, Mächtigen, Intellektuellen und Etablierten nehmen ihn nicht ganz für voll. «Damit konnte ich immer gut leben. So kann ich die Leute positiv überraschen», sagt er und lacht wie ein Lausbub.

Bilder: Markus Hubacher
Text: Tobias Marti
Video/Umsetzung: Claudia Salzmann

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