«Ihr dürft auch Bier trinken, wenn ihr wollt!» Ben ist bereits im Barmodus, doch die Herren des Nachtlebens lehnen dankend ab. Es ist 15.30 Uhr, als die Alternativen die Taube betreten. Bjørn Strømme (32) veranstaltet in seiner Wohnung Konzerte in privatem Rahmen. Camil Schmid (30) organisiert mit seinem Label Mosaik Partys an ungewohnten Orten. Sein Einstiegsplädoyer liegt ihm schon auf den Lippen.
Camil: Das Problem ist, dass die einen ihre Ruhe haben wollen und die anderen ihr Nachtleben. Wir versuchen also, nicht die Regulierungen zu bekämpfen, sondern ihnen aus dem Weg zu gehen. Beim Glasbrunnen etwa, wo wir regelmässig in die Nacht hin­ein gefeiert haben, beginnen wir jetzt früh und hören um 23 oder 24 Uhr auf. Dasselbe mit dem Day Dance auf dem Gurten. Aber: Auch am Nachmittag gibt es noch Reklamationen. Es ist schon fast meine Hauptaufgabe, mich zu entschuldigen und alle vorab zu informieren, dass wir Lärm machen wollen.

Zwei Barkeeper betreten die Taube, über der Schulter einen Stapel frisch gebügelter Hemden aus der Reinigung. Noch eineinhalb Stunden, bis die Bar aufgeht.
Camil: Da haben bis zu tausend Leute Freude an einer Party, aber wenn zwei oder drei Reklama­tionen kommen, haben wir den Stunk. Die Macht des Einzelnen ist brutal. Negative Meldungen dringen viel eher zu den Behörden durch als positive.
BZ: Bjørn, du wirst mit deinen Stubenkonzerten weniger eingeschränkt durch Re­gulierungen. Muss man sich selbst helfen in Bern?
Bjørn: Ich kenne drei, vier andere, die solche Konzerte veranstalten. Wir machen aus der Not eine ­Tugend. Mit zwanzig, dreissig Nasen kannst du eine tolle Ver­anstaltung machen, die nicht gross für Unruhe sorgt und keine Nachbarn stört.
Camil: Wir sollten also unsere Veranstaltungen noch ein bisschen leiser und kleiner machen, damit wir auch ganz sicher niemanden stören?
Bjørn: Das will ich damit nicht ­sagen. Aber es ist schon so, dass die bestehenden Rahmenbedingungen solche Privatinitiativen fördern.


Bjørn Strømme über einen Hänsehautmoment bei einem Konzert in seinem Wohnzimmer.

Ben: Die Rahmenbedingungen ist immer noch ein Problem in Bern. Man zieht doch nicht in die Rathausgasse, wenn man es huere ruhig wott ha. Es müsste in jedem Mietvertrag stehen, dass es hier laut ist. Nach Gesetz können die nach 22 Uhr anrufen und sagen: Es ist zu laut. De muess d Schmier usrücke.
Camil: In Berlin gibt es Dezibelklauseln in Mietverträgen. Das müsste man hier einführen. Du unterschreibst, dass du gewisse Dezibel akzeptierst, und wenn es lauter wird, kannst du rekla­mieren.
Bjørn: Die Stadt ist halt eine belebte Zone, da hat Ruhe nicht Vorrang. Wenn ich es ruhig haben möchte, ginge ich aufs Land.
BZ: Reguliert sich das Nachtleben also selbst? Entstehen Alter­nativen, wenn es zu viele Beschwerden und Regulierungen gibt?
Camil: Ich glaube schon, dass sich das findet. Aber solange Einzelne ein solches Gewicht haben, werden wir immer Probleme haben. Ganz egal, was wir tun. Die Stadt sollte die Beschwerden entgegennehmen, aber solange es in einem gewissen Rahmen bleibt, werden sie nicht umgesetzt.
Ben: Ich bin zwar nicht mehr Teil des Gespräches, aber . . . (enerviert sich)
BZ: Ja?
Ben: Ich finde, es ist völlig unfair geregelt. Es kann nicht sein, dass man anruft, nur weil jemand um 4 Uhr vor irgendeinem Club laut ist, und dann bekommt der Club eine Reklamation. Und eine Stunde später kommt die Stadtreinigung mit lautem Gebläse. Da ruft keiner an und sagt: Ich kann nicht pennen. Keiner! (schlägt mit der Hand auf den Tresen)
Die Runde lacht
Ben: (etwas ruhiger) Die Reinigung stört nicht, weil sie sein muss. Aber das Nachtleben gilt als flexibel. So sollte es nicht sein.

Ein neuer Gast sitzt an der Bar, schwarzer Hut, schwarze Jacke mit schwarzem Pelz. «Alek», stellt er sich vor. «Oder wie ein Kommerzclubbetreiber sagen würde: Playground-Alek, freut mich.» Unten im Marzili, dort, wo einst die Formbar war, führt Alek Paunovic (31) einen der wenigen After-Hour-Clubs in Bern. «Ihr sprecht über nervige Regulierungen?», fragt er. «Gut, damit habe ich Erfahrung.»
Alek: Wenn wir After-Hour-Partys am Sonntag haben, müssen wir die Leute am Morgen um 3.30 Uhr aus dem Club bringen, bevor wir sie um 5 Uhr wieder reinlassen. Die Regel ist ein Scheiss für das Business. Das unterbricht die ganze Stimmung. Deshalb machen wir zwei Events mit unterschiedlicher Musik-Richtung, damit sich das Publikum natürlich austauscht.
BZ: Wie steht es mit Lärmklagen?
Alek: Hatten wir keine in den zweieinhalb Jahren. Weil wir viel investiert haben. In die Ausbildung der Security, die Isolierung und in unsere Clubkultur. Heute sind ja alle so im Stress und wollen unbedingt mal den Alltag vergessen. Da ist es umso wichtiger, dass man der jüngeren Generation eine Kultur des Respekts beibringt. Dass man ihnen nicht ständig sagt, dass sie in einer Welt der Freiheiten leben und dass sie sich verhalten können, wie sie wollen. Sondern: Jemand reisst sich den Arsch auf, schläft nächtelang nicht, damit du einen Ort hast, an dem du guten Sound hören kannst.
BZ: Was macht für euch das Berner Nachtleben aus?
Alek: In Zürich findest du jeden Abend etwas, das ist eine coole Stadt für junge Leute. Bern hat dieses Niveau nie gehabt. Die Leute haben ein hohes Qualitätsbewusstsein, beeinflusst von den grossen Institutionen, der Reitschule, der Dampfzentrale oder dem Sous-Soul früher. Aber das Bernervolk ist ein sehr eigen­artiges. Alles, was mehr als fünf Minuten Laufzeit entfernt ist, ist out of context. Wir müssen sie richtiggehend zu uns abe­schla. Mit gutem Programm oder gezielter Promo.
Björn: Das hat mit der Beschaffenheit der Stadt zu tun. Sie ist von der Aare umgeben, und alles, was auf der anderen Seite der Brücken passiert, ist in den Köpfen nicht präsent. Das macht es schwer, Neues entstehen zu lassen. Bern müsste wachsen.
Alek: Das passiert ja schon. Bümpliz etwa hat sich total verändert. Es wäre doch prädestiniert für einen grösseren Club? Gibt es da überhaupt einen?
(Schweigen)
Alek: In Bern denkt niemand an solche Sachen. Die Behörden müssten sich doch überlegen, wie das Nachtleben in den nächsten Jahren aussehen soll. Das ist die Zukunft, dass man Hotspots schafft, wo Neues entstehen kann.
Camil: Man müsste an den Re­gulierungen arbeiten. Das würde unseren Job vereinfachen. Aber im Grossen und Ganzen hat Bern ein spannendes Nachtleben. Wir haben nicht wahnsinnig viel von allem, aber von allem ein bisschen.
Alek: Im Umfeld von zehntausend Kilometern gibt es doch keine Stadt dieser Grösse, die eine so hohe Dichte an guten Konzerten hat. Aber in Bern will man auch gesunde Luft, gesunde Nahrung – und Ruhe. Das müssen wir berücksichtigen. Punkt.
Ben: Aber man kann doch nicht alles haben in einer Stadt!
Alek: Ich versuche ja nur, die Mentalität zu verstehen. Ruhe ist das höchste Gut hier. Das sage nicht nur ich, der vom Balkan kommt, sondern auch Deutsche, Franzosen oder Italiener. Sie fragen mich: Wie sind denn die Berner drauf? Sind das Aliens? Die sind so leise.


Alek Paunovic versucht zu verstehen, warum Berner so leise sind.

Björn: Fasnacht und Zibelemärit und der ganze Gugus gehören doch auch zur Stadt. Da hauen die Berner auf den Putz. Alek: Ja, nachdem sie Masken angezogen haben.
BZ: Wieso tut ihr euch den Stress des Nachtlebens überhaupt an?


Camil Schmid über den Moment des kompletten Glücks.

Camil: Und zu sehen, dass die Leute das haben und dass ich verantwortlich dafür bin, das ist mein Treibstoff.
Alek: Es geht darum, dass wir uns wie Menschen fühlen. Dass wir uns frei fühlen, für einen kleinen Moment. Das ist das Wichtigste. Björn: Ich bin ein sehr soziales Wesen, ich will Leute kennen lernen. Deshalb mache ich das. Durch die Konzerte entstehen gute Beziehungen.
Alek: Als das Sous-Soul schliessen musste, hat das viel ausgelöst bei mir. Wir wollten etwas tun, aber nicht nur auf die Strasse rennen und jammern. Also haben wir geschaut: Was können wir machen? Welche Auslagen haben wir, und was bleibt am Ende für den DJ oder die Band übrig? Wird dabei jemand reich? Nein.
BZ: Wo ist Bern in der Nacht am hässlichsten?
Camil: Wenn du frühmorgens auf einsam gestrandete, besoffene Leute triffst, die planlos durch die Gassen ziehen, noch Energie haben, etwas erleben möchten, aber nicht wissen, wo. Weil es nichts mehr hat.
Björn: Wenn ich nachts durch die Stadt gehe, denke ich oft: O Gott, gäbe es doch einen Ort, wo man diese Leute unterbringen könnte. Wenn Betrunkene noch Energie haben, aber nirgends hinkönnen, dann explodiert das irgendwann.
Camil: Zum Glück gibt es das ­Dead End. Man will sich gar nicht vorstellen, wie Bern ohne aus­sehen würde.