«Eine lebendige Anlage zu leiten ist schon besser als eine tote»: AKW-Leiter Martin Saxer.

«Wenn das AKW einmal weg ist, ist Mühleberg wieder eine ganz normale Gemeinde»: Gemeindepräsident René Maire.

«Nach all unseren Einsprachen hatte die BKW genug von uns und kam zur Einsicht, das AKW Mühleberg abzustellen»: Rainer Weibel, Anwalt der AKW-Gegner.

Wenn das AKW Mühleberg im Dezember 2019 nach siebenundvierzig Jahren Laufzeit abgestellt wird, was ziehen dann Betreiber, Gegner und Anwohner für eine Bilanz? In der Rückschau klaffen die Ansichten von Befürwortern und Gegnern der Atomkraft auseinander. Bei allen aber löst das Ende des AKW starke Emotionen aus.



«Ich habe zwei Seelen in meiner Brust», sagt AKW-Leiter Martin Saxer auf die Frage, ob ihm die Abschaltung «seines Werks» schwerfalle. «Eine lebendige Anlage zu leiten, ist schon besser als eine tote», sagt Saxer, es sei aber eine faszinierende Herausforderung, die erste Stilllegung der Schweiz zu leiten. Blickt er mit Stolz zurück? «Eher mit einem Staunen, dass eine vergleichsweise kleine Mannschaft das Werk so gut in Schuss halten konnte», findet Saxer.

Für den AKW-Angestellten Max Wittwer (65) ist der Abschalttermin 2019 «ein grosser roter Balken». Er sei froh, dass er vorher in Pension gehen könne. «Ich habe so viel Herzblut in diese Anlage gesteckt, dass ich die Abschaltung nicht erleben möchte», sagt Wittwer. Es sei auch Zeit für den Abschied, weil es die alte BKW und den früheren Familiengeist der AKW-Mannschaft in seinen Augen so nicht mehr gebe.

Hans-Rudolf Lutz, der erste Betriebsleiter des AKW Mühleberg, blickt selbstbewusst zurück: «Die Ära des Werks war eine Pionier- und Erfolgsgeschichte, für die BKW war das Werk eine Cashcow.» Die Energiewende hält Lutz für einen «Jahrhundertunsinn». Die Atomkraft sei wegen des momentanen Einbruchs des Strompreises noch lange kein Auslaufmodell, findet Lutz und verweist auf die fünfzig AKW, die weltweit im Bau sind.

Ja, er spüre Wehmut, Mühleberg abzustellen, gesteht Hermann Ineichen, Leiter der BKW-Produktionsabteilung. «Wenn ich als Ingenieur nicht mehr bauen kann, bemühe ich mich halt, möglichst gut rückzubauen, das ist meine Ersatzhandlung», sagt Ineichen. Er wolle dabei beweisen, dass man die Kernenergie bis zur Stilllegung eines Werks beherrschen könne.

«Das Werk war eine Cashcow»

Die Atomgegner

2019, wenn das AKW Mühleberg abgestellt sei, werde er denken: «Haben wir Schwein gehabt, dass nichts Schlimmes passiert ist», sagt Atomgegner Jürg Joss. Der Techniker aus Bätterkinden findet es unverantwortlich, dass man das Werk so lange laufen liess. Für ihn ist klar: «Das AKW Mühleberg mit seinen veralteten Notsystemen ist neben dem AKW Beznau das grösste Sicherheits­risiko der Schweiz.»

«Ob wir Glück gehabt haben, wissen wir dann in drei Jahren», sagt Ursula Balmer-Schafroth aus Wileroltigen, die viele Einsprachen gegen das zwei Kilometer von ihrem Haus entfernte AKW unterschrieben hat. Man müsste es sofort abstellen, findet sie. Auch wenn das Entschädigungszahlungen nach sich zieht? Das AKW sei so gefährlich, dass Geld keine Rolle spielen dürfe, findet Balmer. «Unsere Gesellschaft kommt mit weniger Geld aus», sagt sie. Auch mit weniger Strom? «Wenn man sich einschränken muss, dann geht das», meint die Atomgegnerin, auf deren Hausdach eine Solaranlage Strom produziert.

Verliert Atomkritiker Markus Kühni durch die Stilllegung des AKW sein Feindbild? «Ich bin kein militanter Kämpfer, mir geht es um Sicherheit», verteidigt sich Kühni. Er werde es wohl leider nicht mehr erleben, dass es eine offene Debatte mit AKW- Betreibern gebe. «Ich werde froh sein, wenn es abgestellt ist», sagt Kühni, 2019 sei die Gefahr aber noch nicht vorbei, auch der Rückbau bleibe riskant.

«Der Kampf hat sich gelohnt», ist Rainer Weibel (66), Anwalt der AKW-Gegner, überzeugt. «Mit den Jahren hatte die BKW von uns genug, sodass auch sie zur Einsicht kam, das Werk abzustellen.» Es stimme, dass ihm Fukushima Aufträge weggenommen habe, «aber diese Trauerarbeit kann ich bewältigen», sagt Weibel augenzwinkernd.

Verlieren Atomkritiker ihr Feindbild?

Die Pragmatiker

Mühlebergs Gemeindepräsident René Maire bilanziert mit ruhiger Zurückhaltung: «Die Laufzeit des AKW war eine erfolgreiche Ära, die unsere Gemeinde prägte, aber viele werden nicht traurig sein, wenn das AKW weg ist.» Sein Dorf sei dann wieder «eine ganz normale Gemeinde» sein. Von Amtes wegen beschäftigt Maire, dass Mühleberg dann weniger Geld hat. Wenn die Liegenschaftssteuern vom AKW wegfallen würden, werde man den Steuerfuss von 1,25 auf etwa 1,45 erhöhen müssen, den Level der Stadt Bern. «Das ist immer noch vergleichsweise tief», findet Maire.

Wie werden sich spätere Generationen an die AKW-Ära erinnern? Aus der Langzeitperspektive, sagt Arthur Burkhalter – Autor der Festschrift «1000 Jahre Mühleberg» –, sei sie bloss «ein Ereignis unter vielen».

Bilder: Staatsarchiv/BKW/Key/Robert Grogg/Daniel Fuchs/Greenpeace
Fotos: Andreas Blatter/Beat Mathys
Text: Stefan von Bergen
Videos: Stefan von Bergen/Claudia Salzmann
Umsetzung: Claudia Salzmann

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