Spatenstich am 1. April

Am 1. April 1967 ist auf der Runtigenmatte Spatenstich. Guido Flury kann sich gut an das Feld erinnern, als es noch so leer ist, wie es vielleicht im Jahr 2034 wieder sein wird, wenn das AKW bis dann abgetragen ist. Am idyllischen Aareufer entsteht eine gigantische Baustelle. Über die gewundene Strasse in den Aaregraben hinunter fahren Lastwagen hochmoderne Monsterteile heran. Das birnenförmige Reaktordruckgefäss kommt in zwei Hälften, die erst vor Ort zusammengeschweisst werden. «Zuerst gab es nicht mal einen Zaun um die Baustelle, und der Bauer fuhr mit dem Traktor mitten durch», erinnert sich Lutz.

«Der Bauer fuhr mit dem Traktor mitten durch die Baustelle.»

In Vollbrand

Am 28. Juli 1971 wird der Reaktor ab 13 Uhr erstmals auf Volllast hochgefahren. Diesen Versuchsbetrieb leiten im Kommandoraum des eben fertiggestellten AKW hochkarätige Vertreter der BKW, der Kraftwerksfirma BBC und der Nuklearabteilung von General Electric. Alles klappt.

Um 21.15 Uhr geht in der Turbinengruppe B ein Alarm los. Der Reaktordruck steigt plötzlich an. 45 Sekunden später erfolgt unerwartet ein Stopp der Turbinengruppe, darauf die automatische Abschaltung des Reaktors. Ein Monteur entdeckt starke Rauchentwicklung im Maschinenhaus mit den Turbinen. Bald steht es im Vollbrand. Die AKW-Betriebsfeuerwehr ist zur Stelle, und Feuerwehren aus der Region rasen heran.

Hans Rudolf Lutz wird in seinen Ferien im Appenzell mitten in der Nacht per Telefon geweckt. Guido Flury hört nachts im Radio vom Brand und kann nicht mehr schlafen. Sie erinnern sich an das Inferno:



Personal tappt vorerst im Dunkeln

Heute wäre der Vorfall ein Medienereignis, vermutet Lutz, damals habe er einen einzigen Anruf erhalten, von einer Zeitung aus Schweden. Im Bericht über den Brandhergang, den Lutz zusammen mit anderen Experten verfasst hat, gibt es aber bedrohliche Zwischentöne. Durch Vibrationen hatte sich im Maschinenraum eine Schraube gelöst und einen Ölstrahl austreten lassen, der sich entzündete. In den ersten dramatischen Minuten tappt das Personal vorerst im Dunkeln, fällt aber zum Glück richtige Entscheide. Im Bericht steht: «Wegen der grossen Anzahl der nach dem Schnellschluss ausgelösten Alarme – 80 innerhalb der ersten Minute – war es für das Betriebspersonal unmöglich, die Vorgänge unmittelbar richtig zu deuten.»

Die Feuerwehr der Stadt Bern habe sich aus Angst vor Radioaktivität nicht ins Maschinenhaus gewagt und den Brand von aussen bekämpft, erinnert sich Lutz. Die AKW-Betriebsfeuerwehr aber greift auch im Maschinenhaus ein und entdeckt gerade früh genug Kabelbrände in den Kabelkanälen zum Reaktorgebäude. Betroffen sind auch Kabel, die die Notfallkühlung des Reaktors steuern. «Das hätte prekär werden können», räumt Lutz ein. Auf der 1990 eingeführten, internationalen Schadensskala Ines, die Störfälle und Unfälle in sieben Schwerestufen von 0 bis maximal 7 unterteilt, wird der Brand von 1971 nachträglich als «Anomalie» der Stufe 0 regis­triert.

Es wird ein ganzes Jahr vergehen, bis Hans Rudolf Lutz und Guido Flury das Werk in Betrieb nehmen können.

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