Zwischen 1. Liga und Profikarriere

Die Neuen des FCB der Saison 2010: Yann Sommer, Matthias Baron, Gilles Yapi, Genséric Kusunga, Tembo, Granit und Taulant (v.l.n.r.). Foto: Keystone

Die Neuen des FCB der Saison 2010: Yann Sommer, Matthias Baron, Gilles Yapi, Genséric Kusunga, Tembo, Granit und Taulant (v.l.n.r.). Foto: Keystone

Granit wird 2009 mit der Schweiz
U-17-Weltmeister.

Das Schweizer U-17-Team nach dem Final in Nigeria. Foto: Keystone

Das Schweizer U-17-Team nach dem Final in Nigeria. Foto: Keystone

Bei seinem Debüt in der
1. Mannschaft erzielt
Granit das 2:0 gegen Debrecen.

Granit in seinem ersten Spiel für die 1. Mannschaft des FC Basel. Foto: Keystone

Granit in seinem ersten Spiel für die 1. Mannschaft des FC Basel. Foto: Keystone

Peter Knäbel verfolgt Granit und Taulant genau, ob als Nachwuchschef beim FCB, Technischer Direktor des Schweizerischen Fussballverbandes oder wie bis vor kurzem als Sportchef des Hamburger SV. Bei Granit fällt ihm das leichter, weil Granit in der Schweizer Nationalmannschaft spielt oder mit Borussia Mönchengladbach in der Bundesliga.

Aber erstaunlicherweise ist es eine Episode aus Granits ersten Wochen beim FCB, die er als stärkste Erinnerung bezeichnet. Die Stiftung von Gigi Oeri ermöglicht der Basler U-13 eine Reise nach Pristina. Fantastisch sei es, die Jungen in Granits Heimat zu erleben: wie Granit seinen Kollegen die Heimat zeigt und erklärt, wie sie auf einmal mit der Frage konfrontiert werden: «Was ist eigentlich Krieg?»

Ragip Xhaka hat den Krieg erlebt, Verhaftung, Jahre im Gefängnis, das Unwohlsein bei der Arbeit im Restaurant der Familie, als er sich bespitzelt fühlt, weil Polizisten hier auftauchen, die Hilfe von Amnesty International, das ihm und seiner Frau zu Pässen und zur Reise in die Schweiz verhilft. Granit und Taulant wissen vom Krieg nur das, was ihnen erzählt wird. Sie wachsen behütet auf, sie lernen, auf die Eltern zu hören, so sehr, dass sie das heute noch tun. Sie machen ihre Schulen und beginnen ihre kaufmännischen Lehren, heute sagen sie: «Wir haben in der Schweiz alles bekommen, was man sich wünschen kann.»

Granit wird früh als «charming boy» wahrgenommen, erzählt Knäbel, als Spielgestalter, als gut aussehender Junge. Und er ist ein Linksfüsser, womit er ohnehin auffällt in einer Welt, in der Rechtsfüsser in der deutlichen Mehrheit sind. Er ist bei den Junioren Kassenwart und sammelt das Geld ein, «sein Wort zählt etwas», sagt Knäbel. Werner Mogg, einer seiner Juniorentrainer in Basel, nimmt ihn als «selbstbewussten, normalen Kerli» wahr, der weiss, was er will: «Granit geht stur und konsequent seinen Weg. Das will eigentlich jeder, zwischendurch fragt man einen aber: ‹Du, hast du das Gefühl, dass es mit deiner Einstellung dazu reicht?›» Bei Granit erübrigt sich das. Granit macht mit seiner ganzen Art klar, was sein Ziel ist. Er ist keiner, der sich beliebt machen will und nach Sympathien sucht, er ist einer, der ganz nach oben will und dafür die direkte Linie wählt.

Knäbel fragt: «Reicht es Granit?»

In der U-16 verletzt er sich am Knie, bei einem Freundschaftsspiel gegen die Old Boys auf der Schützenmatte. Zuerst heisst es: Riss des hinteren Kreuzbandes, was eine ziemlich schwere Verletzung wäre. Am Ende ist das vordere Kreuzband angerissen, nur angerissen. Mogg merkt nichts davon, dass Granit nach einer sechsmonatigen Pause plötzlich von Zweifeln erfasst wird. Granit trägt sich schwer mit dem Gedanken, ob er wirklich wieder richtig fit wird, ob es etwas wird mit seiner Karriere als Fussballer. Eines Tages denkt er: «Das wird nichts. Konzentriere dich lieber auf die Schule.» Er glaubt nicht an eine Profikarriere, höchstens an eine Zukunft in der 1. Liga.

Zu seinem Glück gibt er nicht auf. Der Beginn der Lehre wird zum Wendepunkt. Er hat mit älteren Menschen zu tun und spürt, wie er in ihrem Kreis reift. Und er sagt: «Mein Glück ist es, dass ich einen Bruder habe, der für mich ein Vorbild ist.» Wieso ein Vorbild? «Weil er der bessere Xhaka ist.» Heute ist klar, dass er von seinen körperlichen Defiziten in der Jugend profitiert. Anders als Taulant oder als ein Breel Embolo viel später kann er sich nicht auf seine Kraft verlassen, um sich durchzusetzen. Er muss spielerische Lösungen finden und beginnt so das zu schulen, was ihn heute auszeichnet: Übersicht, Spielverständnis, Handlungsschnelligkeit.

Als Knäbel ihn mit 14, 15 sieht, fragt er sich, ob es Granit ganz nach oben reicht. Leise Zweifel hat er, weil es ihm an Tempo und Explosivität fehlt. Nach der ausgeheilten Kreuzbandverletzung beginnt er auf einmal zu wachsen, sieben, acht Zentimeter, er legt an Gewicht zu, sechs, sieben Kilogramm. Er reift körperlich und überholt seinen Bruder.

Als Knäbel ihn mit 14, 15 sieht, fragt er sich, ob es Granit ganz nach oben reicht.

Mogg ist mit allen Besonderheiten vertraut, die seine Arbeit als Nachwuchstrainer mit sich bringt. Er staunt heute noch, dass Yann Sommer schon als 15-Jähriger weiss, wie er vor einem Spiel als Goalie warmgeschossen werden will («Drei Bälle hoch, drei Bälle tief»). Sommer bringt so viel Talent mit, dass auch Mogg die Prognose wagt: «Der schafft es.» Das sagt er auch über Breel Embolo. Ansonsten ist er vorsichtig in dieser Beziehung. Er hat sich auch schon geirrt. Wäre ihm vorausgesagt worden, dass Timm Klose zum Bundesligaprofi reift, hätte er entgegnet: «Du bist nicht normal.» Dafür kicken andere, denen er viel zutraute, heute in Dornach.

Granit schiesst also in die Höhe, was Xherdan Shaqiri in die Breite geht. Taulant rackert weiter, ohne sich aus dem Schatten seines Bruders lösen zu können. Und die Eltern halten sich im Hintergrund. Nie beschwert sich Vater Ragip über irgendetwas. Er ist nicht in die Kategorie der überehrgeizigen Sportväter und -mütter einzuordnen, sondern realistisch in seinen Erwartungen. In seinem Haus wird die Zukunft der beiden Nachwuchsspieler unaufgeregt geregelt.

Wie unaufgeregt, zeigt sich im Spätherbst 2009. Granit reist mit der Schweizer U-17 zur Weltmeisterschaft nach Nigeria. Seine Teamkollegen heissen Ricardo Rodriguez, Haris Seferovic, Nassim Ben Khalifa oder Benjamin Siegrist. Zur Delegation gehört auch Peter Knäbel, der inzwischen Technischer Direktor des Verbandes ist. Er spürt, welchen mentalen Halt Granit der Mannschaft gibt. Aber wenn er gefragt wird, wer der beste Schweizer ist, zeigt er nicht sofort auf Granit, sondern auf Siegrist, Ben Khalifa oder Seferovic. Am Ende sind sie alle Weltmeister und bleibt ein Satz von Granit im Gedächtnis hängen: «Ich packe Kleider ein bis zum Final.»

Granits Teamkollegen in der U-17 heissen Rodriguez, Seferovic, Ben Khalifa oder Siegrist.

Die Schweizer U-17 beim Turnier in Nigeria. Foto: Keystone

Die Schweizer U-17 beim Turnier in Nigeria. Foto: Keystone

Schweizer Weltmeister. Foto: Reuters

Schweizer Weltmeister. Foto: Reuters

Ein Satz von Granit bleibt. Vor dem Turnier sagte er: «Ich packe Kleider ein bis zum Final.»

Schweizer Jubeltaumel nach dem 1:0-Finalsieg über Gastgeber Nigeria. Foto: Keystone

Schweizer Jubeltaumel nach dem 1:0-Finalsieg über Gastgeber Nigeria. Foto: Keystone

Granit kommt in die Schweiz zurück, zu den Eltern, und wird bestürmt von Vereinen, die ihn gerne verpflichten würden, Vereine wie Liverpool, Chelsea, Arsenal. In Gedanken sieht er sich schon in der grossen Welt, in der Premier League. Eines Tages realisiert er, wie sehr ihn diese Verlockungen belasten. «Du musst die Telefonnummer ändern», bittet er seinen Vater. Der Papa macht das. Der Sohn will nicht weg aus Basel. Der FCB ist in dieser Zeit allerdings nicht untätig. Eine Zeit lang treffen sich seine Verantwortlichen jeden Samstag in einer Muttenzer Pizzeria, um Ragip Xhaka davon zu überzeugen, dass seine beiden Buben bleiben.

Das Turnier in Nigeria liefert Knäbel die Bestätigung, wie schwierig es ist, eine Karriere vorherzusehen. Er bildet sich ein Urteil erst, wenn er einen jungen Spieler im Vergleich mit Erwachsenen sieht. Es ist ein Dienstagabend, ein Testspiel auf einem Platz der St.-Jakob-Anlage, Knäbel erinnert sich nicht mehr an den Namen des Gegners aus der 2. Liga, dafür umso mehr daran, wie leicht es Granit fällt, sich durchzusetzen. Er merkt, wie ihm das sogar überaus leicht fällt. Danach erlaubt er sich zu sagen: «Doch, er wird Profi.» Erst danach.

Kein normaler 19-Jähriger

Taulant ist der «dickste Kumpel» von Xherdan Shaqiri, ein «duo infernale», wie Mogg erzählt. «Die Chaoten finden sich immer. Und ich kenne nur zwei, die noch schlimmer sind: Fabian Frei und Valentin Stocker.» Mit Chaoten meint er Sprücheklopfer, die einem manchmal auch «auf den Wecker» gehen können.

Knäbel entgeht die Freundschaft von Taulant und Shaqiri nicht. Aber er sieht, dass Taulant auch im Schatten von Shaqiri steht. Er wird neben dem Wunderkind der Basler Szene kaum wahrgenommen. Er rät ihm: «Tauli, du musst ein eigenes Profil entwickeln. Es gibt auch andere Spieler in der Kabine. Hör auch auf sie.»

Shaqiri stürmt Taulant davon. Er hat im Herbst 2009 schon in der ersten Mannschaft Fuss gefasst, als Taulant sich erst in die U-21 vorgearbeitet hat. Granit, obschon genau eineinhalb Jahre jünger, überholt den Bruder und debütiert in der ersten Mannschaft. Zwar nur während zweier Minuten, als der FCB am 28. Juli 2010 in der Champions-League-Qualifikation in Ungarn bei Debrecen antritt. Bernhard Heusler sieht es noch heute vor sich, wie Granit reinkommt, den Ball nimmt und das 2:0 erzielt. «Wenn ein normaler 19-Jähriger auf den Platz kommt, passiert das nicht», sagt der Präsident des FC Basel. Granit ist kein normaler 19-Jähriger. Er hat nicht den Charakter, der ihn zu Zurückhaltung mahnt. Seine Unerschrockenheit legt er offen: Hier bin ich!

Taulant arbeitet weiter an seinem Weg, an seiner Entwicklung. Ihm fehlt es an Kreativität. Sein Talente heissen: Arbeit, Fleiss, Hartnäckigkeit. Um es mit Knäbel zu sagen: «Granit gilt als der liebe Kreative, Taulant als der aggressive Böse.» Knäbel erwähnt es im Wissen, dass diese Wertung oberflächlich ist und es eben auch andersherum sein kann. Granit hat genauso viel albanisches Blut wie Taulant, genauso viel Emotionalität in seinem Spiel. Und Taulant hat seine warmherzige Seite, auch wenn er im Spiel zuweilen den gegenteiligen Eindruck erweckt.

Granit wird von Vereinen bestürmt. «Du musst die Telefonnummer ändern», bittet er seinen Vater.

Zwei Xhakas in der ersten Mannschaft des FC Basel: Taulant und Granit 2010. Fotos: Keystone

Zwei Xhakas in der ersten Mannschaft des FC Basel: Taulant und Granit 2010. Fotos: Keystone

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