Ihr Erinnerungsvermögen in Bezug auf Zitate ist beeindruckend. Sie berufen sich auf Che Guevara, der für das autoritäre Kuba steht?
Kuba autoritär? Überhaupt nicht! In Kuba hat jedes Kind zu essen. Kuba verdient absolute Solidarität.

Im Krisenstaat Kuba haben Kinder nur beschränkte Optionen bei ihrer Selbstverwirklichung. Kubas Regime verletzt Menschenrechte, kriminalisiert politische Gegner und Schwule.
Das ist längst vorbei. Brecht hat gesagt: «Ein Wahlzettel macht den Hungrigen nicht satt.» Noch braucht es in Kuba die Einheitspartei. Zuerst müssen die sozialen Errungenschaften gesichert werden, und die Leute müssen zu essen haben.

Die Leute zu sättigen, rechtfertigt, ihnen politische Mitsprache vorzuenthalten?
Sie sind schlecht informiert. Kuba ist auf dem Weg der Demokratisierung. Sie wollen in Kuba die Chronologie nicht sehen, das ist Ihr Denkfehler. Zuerst kommt die Befreiung aus dem Elend. Dann erst kommt die Pressefreiheit. Kuba steuert auf einen realen Sozialismus zu.

In der Realität ist der Sozialismus bis jetzt immer gescheitert und schuf Unrechtsstaaten.
Der Sozialismus wird kommen. Es gibt keine Zivilisation auf der Welt ohne Sozialismus. 1959 war Kuba eine rassistische Feudal- und Ausbeutungsgesellschaft, ­regiert von einer Mafia. Heute ist Kuba ein lebenswertes Land, das aus dem Elend herausfand.

Der deutsche Dichter und Sänger Wolf Biermann schreibt in seiner Biografie, er habe erkannt, dass die Hoffnung auf einen gerechten Sozialismus eine Illusion sei. Sie nicht?
Biermann war in der DDR, und die DDR hatte nichts mit Sozialismus zu tun. Der ganze Kasernenkommunismus, der vor hundert Jahren mit der Russischen Revolution begann, hat nichts mit dem kommunistischen Manifest von Marx und Engels und mit dessen Werten zu tun.

Das Manifest ist vielleicht bloss eine papierene Utopie.
Die Utopie ist nicht papieren, sie ist der Horizont, zu dem wir unterwegs sind.

Sind Sie ein Gläubiger, der nicht wahrhaben will, dass die Menschen nicht so sozial ticken, wie Sie es gerne hätten?
Unser Bewusstsein ist entfremdet und pervertiert durch die neo­liberale Wahnidee. Es gibt aber Glut unter der Asche. Wenn sich dank der Überzeugungsarbeit von Privilegierten die Freiheitsrechte durchsetzen, kommt eine solidarische Weltordnung.

In Ihrem Buch schreiben Sie, die UNO könnte scheitern. Fürchten Sie das wirklich?
Die UNO hat drei Säulen: kein Elend mehr auf der Welt, kein Krieg mehr auf der Welt und Menschenrechte. Alle diese drei Säulen sind zerbrochen, Elend, Krieg und Folter sind nicht aus der Welt geschafft. In Syrien gibt es keine Blauhelme, keine humanitären Korridore, kein Flugverbot über Wohngebieten, die UNO ist total abwesend in Syrien, sie ist gelähmt durch das Vetorecht. Und doch gibt es Hoffnung.

Warum?
Die Vetomächte erleben jetzt selbst die Konsequenzen ihres Vetos: durch Terroranschläge auf ihrem Territorium oder durch Flüchtlinge an ihren Grenzen. In den Aussenministerien diskutieren nun Expertengruppen dar­über, ob man nicht Kofi Annans UNO-Reformplan von 2006 aus der Schublade hervorholen müsste, um den Syrien-Konflikt zu lösen. Annan schlägt vor, dass es bei Kriegen, in denen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden, kein Vetorecht geben darf.

Sie sitzen mit Vertretern von Folterstaaten im UNO-Menschenrechtsrat. Sie schreiben, dass Sie sich dadurch beschmutzen. Warum lassen Sie das zu?
Entweder tritt man aus der Geschichte aus oder versucht, auch mit Bösewichten zu reden. Ich war ja bei Saddam Hussein. Er ist einer der schlimmsten Menschen, denen ich begegnet bin. Und doch musste ich ihm die Hand schütteln und mich mit ihm fotografieren lassen, um achtzehn Schweizer Geiseln freizubekommen, die sonst als menschliche Schutzschilder an Bombenziele gekettet worden wären. Das war es wert. Wenn man konkret helfen will in der Welt, wie sie ist, bekommt man schmutzige Hände.