Sie werden in der Schweiz als Nestbeschmutzer beschimpft. Und doch füllen Sie bei Lesungen in diesem bürgerlichen Land mit Ihrer Revolutionsbotschaft die Säle. Wie schaffen Sie das?
Ich glaube, dass mich die Herrschaftsklasse in der Schweiz wirklich hasst. Sie ist versteinert, kritik- und dialogunfähig. Aber wir haben in unserem Land eine demokratische Öffentlichkeit. Das Schweizer Volk ist grossartig, unruhig und klug. Übrigens führt mich ein Rating des Gottlieb-Duttweiler-Instituts über die einflussreichsten Ideengeber der Schweiz auf Platz eins auf. Das ­erstaunt mich.

Welche Idee haben Sie denn der Schweiz gegeben?
Dass ein Kind, das an Hunger stirbt, ermordet wird.

Das ist ja nicht eine Idee, die Sie sich ausgedacht haben.
Aber es ist eine Tatsache, die ich und andere im öffentlichen Bewusstsein durchgesetzt haben. Ich sage häufig das Gleiche, ich habe eine klare Botschaft. Mein Fundament ist ein Schweizer, genauer: ein Thuner Geist.

Worin besteht dieser Geist?
Dazu gehört eine Grundanständigkeit: Das geht doch nicht, das darf doch nicht sein! Wir Schweizer sind ja keine grossen Philosophen, wir haben ein paar starrköpfige Grundforderungen. Etwa die, dass alle an den materiellen Gütern teilhaben sollen, wenn diese schon mal da sind. Dieses Denken hatte schon der Emmentaler Niklaus Leuenberger, der legendäre Führer des Bauernkriegs im Alten Bern.

Er war wie Sie ein Rebell.
Sehen Sie! Ich verfüge über alteidgenössische Grundüberzeugungen und habe im Dschungelcamp der Politik und der Diplomatie noch dazugelernt. Die wichtigsten Grundeinsichten aber verlieh mir Jean-Paul ­Sartre. Ohne den grossen Philosophen wäre ich nicht, was ich bin. Er empfahl meine ersten Texte über meine Erfahrungen in Afrika seinem Verleger. Sartre verdanke ich auch, dass ich in Jean umgetauft wurde.

Wie kam das?
Sartre schickte mich zur Überarbeitung meines ersten Textes zu Simone de Beauvoir. Sie kor­rigierte, strich, kritisierte. Am Schluss stand da mein Name Hans Ziegler. «Hans, was heisst das?», fragte sie. Ich erklärte, das heisse auf Französisch Jean. Sie meinte, Hans sei doch gar kein Name, strich ihn durch und schrieb Jean darüber.

Wann spürten Sie im kleinen Thun erstmals, dass noch etwas Grösseres aus Ihnen werden könnte?


Als ich mit meinem Vater als Junge im Winter am Viehmarkt die Verdingkinder sah, die mit löchrigen Socken die Kühe bewachten, während die Bauern drinnen im Gasthof assen und tranken. Ich fragte meinen Vater: Warum geht es denen so schlecht, sie sind ja Kinder wie ich? Mein Vater – ein warmherziger, kluger Mensch, aber geprägt vom calvinistischen Glauben – sagte: «Da kannst du nichts machen, das ist Gottes Ordnung, mach du deine Sache.» Diese Antwort war für mich total inakzeptabel.