Unterwegs mit Berns Laubbeseitigern

Mitarbeiter der Stadt beseitigen jeden Herbst Laubberge, so schwer wie 300 Elefanten. Auch jetzt ­wieder.

«Es ist eine Knochenbüez», sagt Beat Aebersold vom Tiefbauamt.

Das perfekte Wetter, um Laub einzusammeln? Die Frage lässt Beat Aebersold ein heiseres Lachen ausstossen. «Sicher nicht so wie heute», sagt er und zieht den Reissverschluss seiner Fleece­jacke hoch. Berner Ostring. Kurz nach 9 Uhr morgens. Es nieselt und windet. Die Wetter-App zeigt 5 Grad an. «Ein bisschen feucht ist schon okay, damit es nicht stäubt.» Nasses Wetter sei aber schlecht, weil dann die Blätter am Boden klebten. Und der Wind, der blase das Zeugs immer wieder weg. «Aber wir nehmens, wies kommt.»

634 Kilometer Trottoir

Aebersold ist ein Mann, dem man ansieht und anhört, dass er die letzten Jahrzehnte nicht nur im Büro verbracht hat. Seit 30 Jahren arbeitet er beim Berner Tiefbauamt in der Strassenreinigung. Der 57-Jährige ist einer von 120 Männern und Frauen, die das ganze Jahr hindurch Berns Boden vom Abfall befreien – 314 Kilometer Strasse, 634 Kilometer Trottoir. Im Winter muss zudem der Schnee weg. Im Frühling der Blütenstaub. Im Sommer nach den Gewittern die Äste. Und im Herbst eben das Laub.

Auch jetzt wieder. Rund sieben Wochen Hochbetrieb bedeutet das jeweils. «In dieser Zeit sind wir voll im Laub», sagt Aebersold. Will heissen: von Anfang Oktober bis Ende November, von Montag bis Freitag, vom Morgen bis zum Abend Blätter einsammeln, aufladen, abladen. Und wieder von vorne. «Es ist eine Knochenbüez.» Ferien erteilt die Stadt in dieser Zeit nur eingeschränkt.

«Nasses Wetter ist schlecht, weil dann die Blätter am Boden kleben.»

Heikle Orte zuerst

Beat Aebersold ist als Leiter seiner 20-köpfigen Reinigungsequipe für den Stadtteil 4 zu­ständig. Kirchenfeld, Schosshalde, Murifeld: Auch an diesem Morgen sind in den verschiedenen Quartieren seine Leute am Werk. Blätter werden zu Haufen gebüschelt, diese wiederum von Wischfahrzeugen geschluckt, die entlang der Trottoirs rauf- und runterfahren.

Gesammelt wird zuerst an heiklen Orten wie Trottoirs, Velowegen oder Treppen, erklärt Aebersold. «Da ist die Rutschgefahr am grössten.» Auch Bus­haltestellen oder Unterführungen seien wichtig, weil sie besonders stark frequentiert sind. «Allerhöchste Priorität haben die Wege rund um Spitäler und Altersheime.»

Den Löwenanteil des Laubes beseitigt das Reinigungsteam mit Laubbläsern. «Um die Ecken herauszuwischen, braucht es hie und da auch mal den Besen.» Oder auch, wenn die Blätter am Boden festklebten. Ansonsten sei man aber froh um die motorisierten Arbeitsgeräte. «Mit denen sind wir gefühlte 20-mal schneller.» Nur: An den lauten Benzinbläsern haben nicht alle ihre Freude. «Die meisten Reklamationen erhalten wir wegen des Lärms», so Aebersold.

Vor einigen Jahren hat die Stadt deshalb zusätzlich Elektrobläser angeschafft. Sie sind zwar nicht ganz so effizient und müssen regelmässig aufgeladen werden, dafür aber leiser. Am frühen Morgen verwende man deshalb gerade in den Quartierstrassen die Elektrobläser, um die Leute nicht zu wecken. Für die gröberen Laubschichten reicht ihre Power dann aber doch nicht. «Bei wirklich viel Neulaub sind definitiv die Benziner nötig.»

«Mit den Laubbläsern sind wir gefühlte 20-mal schneller.»

1900 Tonnen Blätter

Eine Strasse in der Nähe des Thunplatzes. Auf einer abgesperrten Parkplatzreihe befindet sich eine von total 16 temporären Depotstellen, die es verteilt auf die ganze Stadt gibt. Hierhin kommen die vollen Wischfahrzeuge, um zu entleeren. «Pro Depotstelle bis zu 20-mal am Tag», sagt Beat Aebersold.

Stolze 1100 Tonnen Laub kommen so in einer Herbstsaison zusammen – natürlich teilweise beschwert durch die Feuchtigkeit. Das ist aber noch nicht alles. Denn nebst den Strassen und Trottoirs müssen auch die Parkanlagen, Spielplätze und Friedhöfe von den Blättern befreit werden. Dies einerseits zur Sicherheit der Spaziergänger, andererseits aber auch, damit die Rasenflächen und Blumen unter dem Laub nicht verfaulen.

Laut Stadtgrün, das in Bern für den Unterhalt und die Pflege der Grünflächen zuständig ist, kommen dadurch nochmals bis 800 Tonnen Laub dazu. Macht total also rund 1900 Tonnen Laub, die jeden Herbst von Berns Boden beseitigt werden. Das entspricht etwa dem Gewicht von 100 Gelenkbussen von Bernmobil. Oder 300 afrikanischen Elefanten.

Das meiste wird kompostiert

Wo aber kommen die ganzen Haufen letztlich hin? «Das meiste Stadtberner Laub landet am Schluss via Lastwagen in Murten», sagt Aebersold. Dort werde es in einem Entsorgungshof kompostiert. Ein kleiner Teil der Blätter – derjenige, der durch Strassenabfall wie Zigaretten oder Plastik verunreinigt ist – muss hingegen wie normaler Müll verbrannt werden.

Im Umgang mit dem Laub gehen die Gemeinden in der Region Bern unterschiedlich vor. In Köniz etwa gelangt das Laub von den Strassen grundsätzlich in die Kehrichtverbrennung. Kompostiert werden nur die sauberen Blätter von kleinen Grünplätzen. Ähnlich wird es auch in Ostermundigen gehandhabt. Komplett anders wiederum läuft die Sache im ländlichen Deisswil. Im 85-Seelen-Dorf müssen die Bewohner die Strassen selbst vom Laub befreien. Und die Blätter im eigenen Garten oder beim nächsten Bauernhof kompostieren.

So sammeln die Profis Laub

Beim Stützpunkt im Egghölzli treffen mittlerweile die Equipen aus den Quartieren ein. Zeit fürs Zmittag. Einen Moment lang werden die Wischfahrzeuge ausgeschaltet, die Besen zur Seite ­gelegt – bis der schier endlose Kampf mit dem Laub am Nachmittag und auch noch die nächsten paar Tage weitergeht.

«Lange dauert die Laubsaison aber nicht mehr», sagt Beat Aebersold. Wegen des trockenen Sommers seien die Blätter heuer etwas früher von den Bäumen gefallen als sonst. Bereits steht aber der Winter vor der Tür. Und mit ihm wohl auch der eine oder andere Schneehaufen, den es zu beseitigen gibt. Welche Jahreszeit ihm eigentlich lieber sei? Aebersold lacht heiser. «Wir nehmens, wies kommt.»

Impressum
Text: Christoph Albrecht
Bilder: Nicole Philipp

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