Blumen für Bern

Seit über 20 Jahren beliefern die holländischen Blumenhändler von Verboon Fleurs Floristen in und um Bern mit Ware. Für den Muttertag transportieren sie in ihren Camions dreimal mehr Blumen.

Der Tag ist noch nicht ganz erwacht, als Sven Schelvis im grauen Laster auf den Bärenplatz einbiegt. Ein Hupen. Eine Handbewegung zu den Marktleuten, die ihre Stände aufbauen. Ein Daumen nach oben. Dann hüpft er raus, läuft um den Camion und öffnet die Mitteltüre, die in seine Welt führt. Tulpen, Rosen, Hortensien, Lilien, Narzissen, Anemonen. Gelbe, rote, orange, weisse. Zehntausende Blumen stapeln sich in einem riesigen Setzkasten, geordnet nach Sorte und Farbe, griffbereit für die Kunden. Ein Kontrollblick, ein Nicken. «Alles goed», sagt Schelvis. Alles gut.

Es ist ein Donnerstagmorgen Anfang April, kurz vor 7 Uhr. Wie jede Woche um diese Zeit treffen in Berns Zentrum die «Bloemen handelaars» ein, die Blumenhändler aus Holland. Der 31-jährige Sven Schelvis ist einer von ihnen. Mit dem fahrenden Blumenkiosk der Firma Verboon Fleurs beliefern er und sein Kollege Stef Duivenvoorden Dutzende Floristen in und um Bern.

10 Minuten pro Kunde

Die erste Kundin an diesem Morgen ist Verena Zürcher, Marktfrau auf dem Bärenplatz. Seit über 20 Jahren kauft sie bei den «Fliegenden Holländern», wie die Händler von Berns Floristen genannt werden, einen Teil ihres Sortiments ein. «Da sehe ich die Ware mit meinen eigenen Augen und kann aussuchen, was mir gefällt», sagt sie. Zudem stimme Qualität und Preis. Heute deckt sie sich mehrheitlich mit Tulpen und Rosen ein. Die Pfingstrosen, die ihr die Männer mit dem starken niederländischem Akzent, aber in tadellosem Deutsch schmackhaft machen wollen, lehnt sie ab. «Zu früh», sagt sie und bezahlt. Ein kleiner Schwatz noch. Eine Bestellung für nächste Woche. Eine kurze Diskussion darüber, welche Route am schnellsten nach Worb führt. «Tschau Vreni.»

Der Smalltalk, sagt Schelvis auf dem Weg zum nächsten Blumengeschäft, er gehöre dazu. «In diesem Job musst du schon gerne reden.» Manche Kunden wollten manchmal aber etwas gar viel plaudern. Das sei schön, bringe aber alles durcheinander. «Pro Laden haben wir etwa 10 Minuten, mehr liegt nicht drin.» Zu eng ist der Zeitplan bemessen, die Route angepasst an die jeweiligen Zeitfenster der Kundschaft. Bärenplatz. Worb. Deisswil. Dann wieder Bern, in die Altstadt, dann zum Bahnhof, später nach Bümpliz, Hinterkappelen, Mühleberg, Münsingen, Schönbühl, Solothurn, Biel, Ins, Murten, ehe es wie am Vortag nochmals in die Romandie geht. Total über 120 Geschäfte beliefern die Holländer in knapp zwei Tagen mit ihrer Ware. Ware, auf die sie eben noch selber Jagd gemacht haben.

Eingeflogene Blumen

48 Stunden vorher, im knapp 850 Kilometer entfernten Aalsmeer, auf der grössten Blumenbörse der Welt. Draussen ist es noch dunkel, drinnen in der gigantischen Lagerhalle blendet das Licht grell von der Decke. Schelvis läuft mit schnellen Schritten durch ein scheinbar endloses Couloir aus zehntausenden Blumenwagen, bleibt vor einem stehen, schnuppert an einem Flieder. «Riecht gut», sagt er und schreitet hastig weiter durch den Dschungel von Regalen, Wagons und Kisten.

«In diesem Job musst du schon gerne reden.»

Es ist ein Ort, wo der Blume sämtliche Romantik abgeht, wo sie nichts weiter als ein Massenprodukt ist. Über 20 Millionen Stiele werden hier, in heruntergekühlten Lagerhallen so gross wie 140 Fussballfelder, jeden Morgen angeliefert. Hergeschafft aus Gewächshäusern in Holland, aber auch eingeflogen aus Ecuador, Kenia, Israel, Italien oder der Türkei. Im Verlauf des Morgens werden sie Wagen für Wagen zur Versteigerung befördert, wo sich tausende Blumenhändler damit eindecken – um die Ware kurz darauf wieder in die halbe Welt weiterzuverkaufen.

Auch Sven Schelvis und seine Kollegen werden später bei dieser Versteigerung online mitbieten. Vorher werden die anvisierten Blumen aber noch gesichtet. «Es gibt Händler, die kaufen ihre Ware nur anhand von Fotos», sagt Schelvis und schüttelt den Kopf. Das sei nicht ihr Stil. «Wir wollen die Blumen vorher selber sehen, riechen und anfassen können.»

70-Stunden-Woche

Wir, das sind nebst Schelvis auch Aat und Woudt Verboon, die an diesem Dienstagmorgen in Rijnsburg geblieben sind, ein Dorf unweit der Nordsee. Dort, auf einer etwas kleineren, aber gleichwohl imposanten Blumenbörse, ist der Stützpunkt von Verboon Fleurs – eine Art Einstellhalle, direkt angegliedert an das Areal der Versteigerung. Die auf mehreren Börsen zusammengekauften Blumen werden in Rijnsburg verpackt, zwischengelagert und für den Transport in die Schweiz bereit gestellt.

«Es gibt Händler, die kaufen ihre Ware nur anhand von Fotos.»

Den Verboon-Brüdern gehört die Firma. Ihr Vater sei schon im Blumenhandel tätig gewesen, habe jahrelang Floristen in Deutschland beliefert, erzählt Aat Verboon. Ende der 1990er-Jahre konzentrierten sie sich dann auf den Schweizer Markt. «Holländische Blumenhändler gab es damals erst in Zürich», so der 49-Jährige. Also fuhr er kurzerhand nach Bern, mit einem kleinen Transporter und ein paar Blumenkisten. «Ich bin Aat und verkaufe Blumen.» So habe er sich seinerzeit bei jedem einzelnen Floristen persönlich vorgestellt.

Heute, 24 Jahre später, haben die Verboons acht Mitarbeiter, transportieren pro Woche gegen 50 000 Blumenstiele in die Kantone Bern, Solothurn, Neuenburg, Freiburg und Waadt. Das Liefergebiet mag eher klein sein, die regionalen Unterschiede zwischen den Kunden seien aber riesig. «In der Westschweiz haben sie einen viel altmodischeren Blumengeschmack», sagt Verboon, der wie seine Mitarbeiter sowohl Deutsch als auch Französisch spricht. Zum Beispiel Lilien seien bei den Romands stark gefragt. «In Bern sind sie seit mindestens 15 Jahren aus der Mode.»

Über Umsatzzahlen wollen die Brüder nicht sprechen. Fakt ist aber: Das Geschäft mit den Blumen lohnt sich für die Holländer im Hochpreisland Schweiz. «Man wird in diesem Job nicht reich, aber man kann gut davon leben.» Der durchschnittliche Lohn beträgt in den Niederlanden 3400 Euro. Verboons Mitarbeiter verdienen etwas mehr als das. Doch der Job ist hart, die Arbeitswoche oft 70 Stunden lang. Ein Alltag zwischen kalten Lagerhallen und langen Autobahnfahrten. Ferien gibt es pro Jahr drei Wochen am Stück, jeweils im Sommer, angepasst an die Öffnungszeiten der meisten Kunden.

Grosseinkauf an der Börse

Alles sei schwieriger geworden, sagt Verboon, auch in der Schweiz. «Früher hatte es in jedem Dorf drei Blumenläden.» Heute sei es höchstens noch einer. Längst würden Grossverteiler, Billigdiscounter, Baumärkte, ja selbst Tankstellen im Blumenbusiness mitmischen, alle mit ihren eigenen Händlern. Verboons Kunden sind keine Supermärkte, sondern klassische Blumenläden. Statt Grossbestellungen abzuliefern, fahren sie in der Schweiz von Adresse zu Adresse, lassen die Floristen in ihren Blumenkiosk steigen und die Blumen einzeln auswählen. «Das wird geschätzt, ist aber auch aufwändig.»

Ein voll beladener Camion macht sich jeden Dienstagmittag auf den Weg in die Schweiz. Kurz vor der Grenze, in Lörrach, werden die Blumen in zwei kleinere Lastwagen umgeladen, die dann ihre jeweilige Tour machen – und dabei alleine auf Schweizer Boden je 700 Kilometer abspulen. Zwei Mal im Monat fliegt Aat Verboon zudem in die Schweiz und fährt mit einem Mietwagen durchs halbe Land, um neue Kunden zu akquirieren.

«In Bern sind Lilien seit mindestens 15 Jahren aus der Mode.»

Längerfristig dürfte die persönliche Tour mit dem Camion ein Auslaufmodell sein. «Zehn Prozent unserer Ware verkaufen wir schon heute online.» Diese Blumen werden von Kunden im Internet bestellt und von eigenständigen Transportfirmen geliefert. «In Zukunft wird sich das noch stärker verlagern.»

Jetzt, in der Gegenwart, gilt es derweil, die Ware für die bevorstehende Wochentour einzukaufen. Noch immer ist es Dienstagmorgen, die Versteigerung an der Blumenbörse von Rijnsburg in vollem Gange. Die Verboon-Brüder und der von seiner Sichtung in Aalsmeer zurückgekehrte Sven Schelvis sitzen nun in einem Raum, der aussieht wie ein Vorlesungssaal. Jeder an seinem Pültchen, wie hunderte andere Blumenhändler auch. Alle in Lauerstellung. Alle bereit, jeden Moment auf den Knopf vor ihnen zu drücken.

Was sich vor ihren Augen abspielt, gleicht einer Auktion im Schnelldurchlauf. Im Sekundentakt fährt eine Blumencharge vor, die zum Angebot steht. Auf einem Bildschirm beginnt eine Uhr von 100 rasant rückwärts zu laufen - es ist der Cent-Preis pro Blume, der stetig fällt. Wer mit dem Drücken lange wartet, dem winkt zwar ein Schnäppchen, er riskiert gleichzeitig aber auch, dass ihm jemand anderes die Blumen wegschnappt. Denn es gilt – anders als bei einer klassischen Versteigerung – das erste Gebot.

Dreimal so viele Blumen vor dem Muttertag

Für die Männer von Verboon Fleurs ist das wahnwitzige Spektakel Alltag. Dreimal pro Woche decken sie sich so mit Blumen ein, über 150 Sorten. Parallel dazu bieten sie via Laptop in Echtzeit an zwei anderen Börsen mit, in Aalsmeer und Naaldwijk. «Das ist nötig, um am Schluss ein breites Sortiment zu haben», sagt Sven Schelvis, der den Job seit über zehn Jahren macht. Sogar seine Frau hat er auf der Blumenbörse kennengelernt.

Um die 30 000 Euro investiert die Firma an diesem eher durchsschnittlichen Morgen an der Blumenbörse. Deutlich mehr ist es vor Festtagen - insbesondere vor dem Muttertag, wenn die Nachfrage und damit die Preise steigen. «Dann investieren wir etwa das Vierfache», so Schelvis. Weil dann auch die Floristen auf mehr Ware angewiesen sind, wird in diesen Spitzenzeiten auch die dreifache Menge an Blumen in die Schweiz transportiert.

Während die Versteigerung noch andauert, treffen auf dem Firmenstützpunkt ein paar Hundert Meter entfernt die ersten Regalwagen mit den ersteigerten Blumen ein. Mitarbeiter laden sie um, verpacken sie in Papier ein, lagern sie im Kühlraum zwischen und verfrachten sie in den ebenfalls runtergekühlten Camion.

Um ein Uhr mittags sind die Blumen eingeladen, Sven Schelvis und sein Team parat für die Fahrt in die Schweiz. 800 Kilometer. Fracht umladen. Übernachten im Lastwagen bei der Grenze. Papierkram beim Zoll. Dann Kunden beliefern. Übernachten im Hotel in Thörishaus. Nochmals Kunden beliefern. Rückfahrt. Am Freitagmorgen werden die Männer wieder in Holland sein mit ihrem leeren Camion – um ihn bald wieder aufs Neue zu füllen. «Los gehts», sagt Sven Schelvis und schwingt sich in die Führerkabine. Ein Hupen. Ein Daumen nach oben. Alles goed.

Text: Christoph Albrecht
Bilder: Raphael Moser / Christoph Albrecht

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