Üppige Geschäfte in verschworener Runde

Zahlreiche Verstösse und belastende Dokumente wurden dem Beamten und seinen Freunden schliesslich zum Verhängnis.

Zahlreiche Verstösse und belastende Dokumente wurden dem Beamten und seinen Freunden schliesslich zum Verhängnis.

Der Seco-Ressortleiter genoss viele Freiheiten.

Der Zirkel um Paul A. geizte nicht mit Gefälligkeiten.

Allein seit 2006 erhielten IT-Firmen Aufträge für 73 Millionen Franken.

Text von Christian Brönnimann und
Illustrationen von Christoph Fischer.

Es hätte der letzte grosse Deal sein sollen: Aufträge für 14 Millionen Franken für die beiden IT-Firmen. Dann hätte Schluss sein sollen mit den Tricksereien, damals im Herbst 2013. Paul A.*, langjähriger Beamter und Kader mittlerer Stufe im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), hätte sich schon bald pensionieren lassen. Und zwei der drei IT-Unternehmer hätten neu angefangen. Simon B. bei der Firmen-Zweigstelle in Singapur, Fabrice C. bei der Konkurrenz. Es wäre ein Ende auf dem Höhepunkt des geschmierten Geschäfts gewesen, an dem sich die vier während Jahren bereichert hatten. Und die Spuren wären zumindest teilweise verwischt gewesen.

Doch es kam alles ganz anders. Die Sache flog auf, als sie schon fast abgeschlossen schien. Es gab Spuren, die liessen sich nicht auslöschen. Zum Verhängnis wurden dem Quartett im Zentrum des Skandals die jahrelang geduldeten Verstösse gegen das Beschaffungsrecht. Und ein Haufen belastender Dokumente, die den Weg an die Öffentlichkeit fanden. Dazu kam eine Tonaufnahme, welche die Gerüchte, die intern schon lange die Runde machten, zu Gewissheiten werden liess.

Anfang 2014 musste die Bundesverwaltung vom wohl grössten Korruptionsfall der letzten Jahrzehnte Kenntnis nehmen. Finanziell geschädigt wurde der Fonds der Arbeitslosenversicherung, deren IT-Systeme von der Seco-Abteilung Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung geführt werden. Ideell litt aber das ganze Wirtschaftsdepartement unter der Affäre.

Die Akteure

Paul A.: Mutmasslich korrupter Beamte im Staatssekretariat für Wirtschaft

Simon B.: Ehemaliger CEO der Fritz & Macziol AG

Fabrice C.: Ehemaliger Direktor der Fritz & Macziol AG

Werner D.: Ehemaliger Inhaber und Chef der System Connect AG

Urs E.: Treuhänder und enger Vertrauter von Simon B. und Fabrice C.

* Alle Namen sind der Redaktion bekannt und wurden abgeändert. Alle involvierten Personen, respektive deren Anwälte, wollten bisher keine Stellung zu den Vorwürfen nehmen. Für die noch nicht verurteilten Akteure gilt die Unschuldsvermutung.

Strafanzeige eingereicht: «Tagesschau» vom 30. Januar 2014. (Video: SRF)

Der Schaden lässt sich bis heute nicht genau beziffern. Doch es gibt Zahlen, die vermuten lassen, wie viel Geld aus dem Fonds, der hauptsächlich von den Beiträgen der Arbeitgeber und -nehmer gespeist wird, in die privaten Taschen geflossen sein könnte.

73 Millionen Franken: Das ist die Gesamtsumme der Aufträge, welche die zwei grössten in den Fall verwickelten IT-Firmen allein seit 2006 vom Seco erhalten haben. Bei einem Teil der Aufträge wurden überhöhte Preise abgerechnet.

50 bis 73 Prozent: Das ist die Marge, welche die grösste der involvierten IT-Firmen, die Fritz & Macziol (Schweiz) AG, mit einigen der Seco-Aufträge eingefahren hat – mit «normalen» Geschäften sind solche Werte nie zu erreichen.

Rund 1,3 Million Franken: Private Auslagen in diesem Umfang hat die Fritz & Macziol dem Seco-Mann Paul A. gemäss Ermittlungen bezahlt. Simon B. sei bezüglich dieses Tatvorwurfs «weitestgehend geständig», heisst es in einem Justizdokument vom März 2019.

Die mutmasslich korrupten Machenschaften waren möglich, weil der Seco-Ressortleiter grosse Freiheiten genoss und seine Vorgesetzten wegschauten. In den Worten des Controllers der Seco-Abteilung baute sich der Ressortleiter «sein eigenes kleines Königreich» auf. In diesem Reich konnte Paul A. seinen Freunden in der Privatwirtschaft die Millionenaufträge gesetzeswidrig direkt zuschanzen, ohne sie im Wettbewerb auszuschreiben – und machte dafür die hohle Hand.

Wie die Seco-Korruption funktionierte. (Animation: Angelo Colaninno / Recherche: Christian Brönnimann / Grafik: Marina Bräm)

Angefangen hat es wohl mit kleinen Nettigkeiten. Bilder für die Cafeteria der Seco-Abteilung oder eine Tischdekoration an einem Abteilungsfest. Dann kamen die Einladungen, die Reisen, die Elektronikgeräte, das Geld.

Der Zirkel rund um Paul A. wurde zur verschworenen Gemeinschaft. Man ging gemeinsam essen, etwa im Landhaus in Liebefeld bei Bern, oder besuchte Fussballspiele und das lokale Dorftheater eines Mitarbeiters von Paul A.


Geschätzte Freunde des Theaters xy.

Bereits viele Jahre haben wir uns in der Regel am letzten Samstag im Januar zum Theaterbesuch in xy getroffen. Jeweils vorgängig haben wir uns mit den Köstlichkeiten des Restaurants Hirschen verwöhnen lassen. (Einige auch wiederholt bis zum frühen Morgen!) Bestimmt wird auch das nächste Theater einen weiteren Höhepunkt zu bieten haben,



hiess es etwa in einer Einladung von Paul A. an seine Kumpane, verschickt von seiner Seco-E-Mail-Adresse.

In den Dokumenten, die dem «Tages-Anzeiger» vorliegen, gibt es unzählige Belege für die Vorgänge. Frappant ist, wie selbstverständlich Paul A. Geschenke annahm. Exemplarisch folgender Auszug aus dem E-Mail-Verkehr zwischen ihm und Fabrice C., Direktor bei der F & M, vom Februar 2006:


Betreff: WM 2006

Fabrice C.:

Salü Paul
Ich freue mich, dass du mit uns an die Fussball-WM 2006 kommst. Als Anhang sende ich dir die ersten Infos mit der Bitte, die Termine einzutragen. Die Flüge und das Hotel sind bereits auf deinen Namen gebucht.

Grüsse aus Zürich (und bald aus dem Schnee, wir fahren für eine Woche in die Skiferien)




Paul A.:

Guten Morgen lieber Fabrice
Vielen Dank für diese Supereinladung. Ich freue mich auf dieses hoffentlich alles entscheidende letzte Spiel unserer Fussball-Nati.
Ich wünsche dir und der Familie ein erholsames und gemütliches Wochenende.

Viele liebe Grüsse sendet euch Paul



Für das Spiel Schweiz gegen Südkorea vom 23. Juni 2006 in Hannover war ein VIP-Tribünenplatz für Paul A. reserviert.

Für die Heimspiele der Berner Young Boys standen Paul A. bis zu sechs VIP-Jahreskarten zur Verfügung. E-Mails zeigen, dass er und in kleinerem Ausmass auch einer seiner Kollegen im Seco frei über die Karten verfügen konnten. Die Rechnungen – zum Beispiel knapp 60'000 Franken für die sechs Jahreskarten 2012 – gingen direkt an die F & M. Für Spiele der Europa League erhielt Paul A. zusätzliche Karten.

Offenbar war man sich sehr wohl bewusst, dass die Sache mit den Tickets zum Problem werden könnte. An einer Sitzung vom Dezember 2012 mahnte Fabrice C. unmissverständlich: «Wir müssen da ein wenig vorsichtiger operieren. Den Kreis wegen Ticketsabholen bei dir und Überbringen müssen wir sehr, sehr klein halten.»

Von besagter Sitzung existiert eine Tonaufnahme, die alles entlarvt. Das eineinhalbstündige Gespräch macht deutlich, wie eng und vertraut Paul A. und die Verantwortlichen der F & M, Direktor Fabrice C. und CEO Simon B., zusammenarbeiteten. Die drei beraten etwa in aller Offenheit, über welche Verträge noch wie viele Stunden teils fiktiver Aufwand abgerechnet oder wie künftige Verträge am besten abgeschlossen werden können, ohne Aufsehen zu erregen. Gegen Ende der Sitzung fallen folgende Worte:

Simon B.: «Danke für den Besuch. Und dass wir auch die Gschäftli machen dürfen, dieses Jahr.»

Paul A.: «Nächstes Jahr auch.»


Dank Paul A. bolzte die F & M Umsätze wie nie zuvor. Das wirkte sich direkt auf das Einkommen der Chefs aus. So betrug etwa der Bonus für Fabrice C. gemäss einer internen Abrechnung allein für die Periode von Januar bis November 2012 genau 741'324.20 Franken.

Mit dem vielen Geld leisteten sich die beiden F-&-M-Geschäftsmänner Luxuriöses. Simon B. hatte ein teures Hobby: Er fuhr in der Ferrari-Challenge Autorennen – und kurvte auch privat gern mit den italienischen Sportwagen herum. Bei Fabrice C. wuchs das Vermögen zwischen 2001 und 2010 von 1,5 auf über 6 Millionen Franken an, wie seine Steuerausweise zeigen. Eine neue Uhr von Arnold & Son für knapp 50'000 Franken konnte er so ohne Probleme aus der Portokasse berappen.

Nicht nur der Umsatz, auch der Gewinn der F & M erreichte Traumwerte – dank frisierter Rechnungen ans Seco. Einerseits konnte die Firma dem Seco Arbeitsstunden verrechnen, die nie erbracht wurden. Intern wurden diese Stunden «Bonusstunden» genannt.

Auszug aus dem E-Mail-Verkehr zwischen zwei F-&-M-Mitarbeitern vom Juli 2011:


Betreff: Seco-Aufstellung Juni 2011

Mitarbeiter 1:
Gemäss meinen Servicerapporten und Navision sollten folgende Zahlen sein:
...
(Es folgt eine Zusammenstellung von Arbeitsstunden pro Mitarbeiter.)
...
habt ihr noch etwas dazu erfunden?

Mitarbeiterin 2:
Fabrice wollte noch ein paar zusätzliche Stunden, die findest du als Bonusstunden (grün) im Excel.

Mitarbeiter 1:
Okay, ich muss nur aufpassen, dass die Zeiten sich nicht mit anderen Seco-Dienstleistungen überschneiden. Wir hatten diesen Monat schon solche «Bonusstunden» auf anderen Seco-Verträgen. Ich schaus mir morgen an.


Bei einem Teil der krummen Geschäfte half ein Komplize aus dem Umfeld der F-&-M-Leute entscheidend mit: der Zürcher Treuhänder Urs E. Er war ein enger Vertrauter von Fabrice C. und Simon B. Ihn hat die Bundesanwaltschaft im März 2019 bereits per Strafbefehl zu einem halben Jahr Gefängnis bedingt verurteilt, wegen Geldwäscherei, Urkundenfälschung und ungetreuer Geschäftsbesorgung. Urs E. war dafür zuständig, einen Teil der überhöhten Gewinne aus den korrupten Machenschaften zu verteilen. Dafür nutzte er gefälschte Rechnungen diverser von ihm kontrollierter Firmen in der Schweiz, Liechtenstein und Panama. Gestützt auf solche Fake-Rechnungen zahlte gemäss den Ermittlungen auch das Seco mindestens eine Million Franken für nie erbrachte Dienstleistungen.

Noch einträglicher war es wohl, dass die F & M dem Seco Hardware zu überteuerten Preisen verkaufen konnte. Anstatt Rabatte der Hersteller wie vorgeschrieben an das Seco weiterzugeben, wurden Listenpreise verrechnet. Diese können in der IT-Branche ein Mehrfaches des eigentlichen Preises nach Abzug der Rabatte betragen. Dazu eine Passage aus der Tonaufnahme vom Dezember 2012:

Fabrice C.: «Wenn ich jetzt noch einen Zusatzrabatt heraushole, dann möchte ich den ja nicht ausweisen. Das wolltest du ja auch nicht?»

Paul A.: «Nein, nein, klar nicht.»

Gemäss einem Insider bezahlte das Seco der F & M etwa 6 Millionen Franken zu viel für Hardware. Die Zahl soll von der Firma IBM im Rahmen der Strafuntersuchung berechnet worden sein. Deren Produkte verkaufte die F & M als Zwischenhändlerin ans Seco.

Natürlich resultierten daraus astronomische Margen. Das fiel dem externen Revisor der F & M auf. Per E-Mail erkundigte sich ein Mitarbeiter der KPMG im Januar 2010, ob die Gewinnmargen im Umfang von knapp 3 Millionen Franken aus drei Rechnungen realisiert worden seien. Die Höhe der Margen – 60 bis 73 Prozent – dürfte den Revisor stutzig gemacht haben. Doch folgende Antwort von Simon B. genügte offenbar, um den Revisor zufriedenzustellen.


Betreff: Lieferschein Seco

Sehr geehrter Herr H.
Gerne bestätige ich Ihnen, dass wir für die von Ihnen aufgeführten Rechnungen keine Kosten mehr erwarten. Diese Umsätze resp. Margen sind als realisiert zu betrachten.


Dasselbe Spiel wiederholte sich im nächsten Jahr. Da schrieb Simon B. an Fabrice C.:


Betreff: Begründung Marge

Sali Fabrice
Kannst du bitte auch was dazu sagen. Es geht darum, dass wir im letzten Jahr 50 % Marge über alles generiert haben. Dank Seco.


Und dem KPMG-Revisor schrieb Simon B. kurz und bündig:


Betreff: Handelswarenmarge 2010

Sehr geehrter Herr H.
Gerne bestätige ich Ihnen die Richtigkeit der tollen Handelswarenmarge des letzten Jahres.
Aufgrund einer erstmaligen innovativen Installation beim Seco haben wir für die gesamte, im Zusammenhang mit diesem Verkauf benötigte Hard- und Software sowie Hardware- und Software-Maintenance Demokonditionen erhalten.

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben gedient zu haben, und verbleibe mit freundlichen Grüssen

Mehr als fünf Jahre lang dauern die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft zur Seco-Affäre schon. Nun steuern sie auf ein Ende zu. Die Bundesanwaltschaft hat im Frühling 2019 nicht nur den Treuhänder Urs E. per Strafbefehl verurteilt, sondern auch Werner D. von der System Connect. Ihm konnten die Ermittler Zuwendungen an den Beamten Paul A. im Umfang von rund 100'000 Franken nachweisen. Darunter eine knapp 10'000 Franken teure Übersetzungsanlage, verschiedene Laptops und Haushaltgeräte und einen Helikopterflug. Etliche der Zuwendungen kamen auch einer Musikgesellschaft zu Gute, bei der der Seco-Beamte aktiv war. Für deren Lotterie kaufte der IT-Unternehmer regelmässig 2000-Franken-Reisegutscheine und Millionenlose und er bezahlte ihr neue Uniformen.

Zwei weitere, kleinere IT-Unternehmer aus der Region Bern hat die Bundesanwaltschaft ebenfalls schon verurteilt. Deren Strafbefehle machen deutlich, wie gesellig es zuweilen in der ganzen Seco-Abteilung von Paul A. zu und her gegangen sein muss. Denn die Unternehmer bezahlten der Abteilung immer wieder Ausflüge, beispielsweise ins Casino, zu mehreren Treberwurstessen oder zum Fondue-Plausch in den Tierpark Dählhlölzli.

Die Anklage der Bundesanwaltschaft gegen die Hauptakteure Paul A., Simon B. und Fabrice C. wird in den kommenden Monaten erwartet. Danach wird es am Bundesstrafgericht in Bellinzona zum Prozess kommen. Dann werden wohl auch die letzten grossen Geheimnisse gelüftet: wie viel Geld hat der Beamte wirklich erhalten – und welchen Schaden in der Seco-Kasse hat er dafür in Kauf genommen? Zu weiteren Puzzleteilen zum Thema Geldflüsse lesen Sie mehr im nächsten Kapitel «Spuren ans Meer».


* Alle Namen sind der Redaktion bekannt und wurden abgeändert. Alle involvierten Personen, respektive deren Anwälte, wollten bisher keine Stellung zu den Vorwürfen nehmen. Für die noch nicht verurteilten Akteure gilt die Unschuldsvermutung.

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