«Es braucht wohl eine Frauenquote»

Die Schweizerin Karin Schwab ist Chefjuristin bei Ebay in San ­José.

Im Interview spricht sie über Frauen in Spitzenpositionen, Konsumentenrechte im digitalen Zeitalter und das Arbeiten im Silicon Valley.

Frau Schwab, wie wird man als Schweizerin Chefjuristin von Ebay?
Karin Schwab: Ich habe im Jahr 2001 meine juristische Doktorarbeit über die allgemeinen Geschäftsbedingungen beim elektronischen Handel geschrieben. Was heute trocken und unspektakulär tönt, war zu Zeiten des aufkommenden E-Commerce ein Riesenthema. Später habe ich noch einen Master zu internationalen Aspekten des elektronischen Handels erlangt. Ich wollte mein Wissen rasch in die Praxis umsetzen und mich nicht nur mit der Theorie auseinandersetzen. Ich suchte also nach einer geeigneten Stelle. Da stiess mein Mann auf ein Stelleninserat von Ebay mit Arbeitsort Schweiz . . .

Ihr Mann ist also schuld.

In gewisser Weise. Die Jobanforderung passte perfekt zu meinem Profil. Also wechselte ich im Jahr 2005 von einer grossen Anwaltskanzlei in Zürich nach Bern, wo Ebay den internationalen Sitz hat. Ich wurde Chefjuristin für die Ländergesellschaften der Schweiz und von Österreich. Ehe ich mich versah, kaufte Ebay Unternehmen in Schweden und Polen. Plötzlich war ich für juristische Belange in vier Ländern verantwortlich. Später übernahm ich die Gesamtleitung der Rechtsabteilung in Europa. Ich rapportierte damals direkt an den Hauptsitz von Ebay in San José. Vor fünf Jahren kam die Anfrage, ob ich mir vorstellen könne, die Rechtsabteilung für Nordamerika zu leiten und neu aufzustellen.

Wie fiel Ihre Reaktion auf dieses ungewöhnliche Angebot aus?

Natürlich war ich überrascht und zugleich erfreut. Mein Mann und ich hatten schon vorher über die Möglichkeit gesprochen, dass Ebay mich zum Headquarter abberufen könnte. Wir hatten uns mental darauf eingestellt, was das bedeuten würde: Wir würden unser Leben und unsere Verwandten und Bekannten in der Schweiz ver­lassen, um an einem anderen Ort neu anzufangen. Wir waren uns einig, dass es in unserem Alter um die vierzig eine tolle Chance wäre, ausserhalb der Schweiz zu arbeiten und noch mal was Neues auszuprobieren.

Haben Sie sofort zugesagt oder gezögert?

Ich war am Anfang zurückhaltend. Es war mein Mann, der mich sanft dazu drängte. Ein wichtiges Detail muss ich nämlich noch erwähnen: Um als Juristin in einem US-Unternehmen zu arbeiten, braucht es ein Anwaltspatent eines Bundesstaates. Ich war mir nicht sicher, ob ich mir den ganzen Prüfungsstress noch einmal antun wollte. Was, wenn ich meine Familie in die USA bringe und dann durch die Prüfungen falle?

Offensichtlich haben Sie das ­Anwaltspatent für Kalifornien erlangt. Wie haben Sie das ­geschafft?

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2013 musste ich alles unter einen Hut bringen. Ich stand unter der Arbeitswoche um 6 Uhr auf und habe bis 9 Uhr US-Recht und kalifornisches Recht gebüffelt. Dann ging ich zur Arbeit. Am Abend hiess es dann wieder lernen bis 21 Uhr. Die Wochenenden widmete ich vollständig meinem Studium. Mein Mann und unsere vierjährige Tochter erkundeten unterdessen Kalifornien. Im Sommer 2013 habe ich die Prüfungen erfolgreich bestanden.

Eine unglaubliche Leistung! Gab es Unterstützung von Ebay?

Sie war riesig. Meine Vorgesetzten wussten, dass sie von mir viel verlangten. In Kalifornien fallen rund 85 Prozent der Ausländer durch die Anwaltsprüfung. Zehn Wochen vor den Tests erhielt ich frei, um mich seriös vorzube­reiten.

Gibt es Unterschiede zwischen der Arbeitsweise im Silicon ­Valley und in der Schweiz?

Ja und nein. Ich habe ja schon zuvor mit den Kollegen in den USA zusammengearbeitet. Ich weilte einmal oder zweimal pro Jahr am Hauptsitz. Ich kannte also die Leute, die Büros und den Ort San José bereits. Trotzdem ist es ­anders, wenn man hier länger als ein paar Tage arbeitet. Die Mentalität an der US-Westküste ist unterschiedlich, das habe ich schnell festgestellt. Ich musste mein Auftreten etwas anpassen.

Tatsächlich?

Die germanisch geprägte Direktheit funktioniert im Silicon Valley nicht. Feedback muss rücksichtsvoll formuliert werden, sonst kommt es nicht an. In Europa sind wir uns gewohnt, die Dinge beim Namen zu nennen. Hier in Kalifornien eiert man viel mehr rum. Man stellt vorsichtig Fragen, um den Gesprächspartner sanft zum eigentlichen Kritikpunkt zu führen.

Wie haben Sie gemerkt, dass Sie mit Ihrer Art anecken?

Ich habe viele Reaktionen erhalten. «Du kommst etwas aggressiv rüber», hat man mir gesagt. Also habe ich diese Kritik angenommen und mich angepasst. Nur weil ich amerikanisches Englisch verstehe, heisst nicht, dass ich auch die kalifornische Mentalität verstehe. Das war eine der ersten Lehren, die ich gezogen habe.



Das Gespräch findet im Büro von Karin Schwab am Hauptsitz des Onlinemarktplatzes Ebay in San José (US-Bundesstaat Kalifornien) statt. Für eine Spitzenmanagerin eines etablierten Konzerns im Silicon Valley ist das Einzelbüro auffallend schlicht gehalten. Es ist Teil eines Grossraumbüros mit den typischen engen Einzelboxen. In der Mitte steht ein langer Sitzungstisch, auf dem sich Schwabs Laptop befindet. Im Hintergrund hängen ein leeres Whiteboard und als Kontrast dazu ein grosser Bildschirm für Präsentationen. Auf Regalen sind persönliche Gegenstände von Schwab aufgereiht. Fenster geben den Blick frei auf den riesigen Firmencampus von Ebay. Karin Schwab, Jahrgang 1972, ist seit dem Jahr 2013 Chefjuristin von Ebay und Mitglied der Geschäftsleitung.

Die Murtnerin ist verheiratet und Mutter einer Tochter im Schulalter. Ebay betreibt das weltweit grösste Onlineauktionshaus. Mit seinen weltweit 12 600 Mitarbeitern erwirtschaftet die Firma einen Umsatz von knapp 9 Milliarden US-Dollar. Dieses Montagsinterview ist der zweite Teil unserer Beitragsreihe zum Silicon Valley. Bereits erschienen: ein einzigartiges Ökosystem (Ausgabe vom 27. Oktober).

Die Arbeitnehmer im Silicon Valley sind sehr von sich selber überzeugt. Sie arbeiten mehr und schneller als die Europäer, sagen sie. Stimmt das?

Europäer haben ständig Ferien und schalten im Sommer einen Gang zurück: Diese Wahrnehmung ist hier verbreitet, ja. Die Arbeitsweise ist anders, das ist der einzige Unterschied. Man ist im Silicon Valley ständig online und beantwortet Anfragen sofort, auch ausserhalb der regulären Arbeitszeiten.

Machen Sie das auch?

Ja. Dafür habe ich mehr Freiheiten. Ich musste hier noch nie ein Abendessen mit Freunden absagen, weil ich nicht rechtzeitig das Büro verlassen konnte. Als ich für Ebay in der Schweiz arbeitete, ist das häufig vorgekommen.

Was sind im digitalen Zeitalter die grössten Herausforderungen für Ihre Abteilung?

Rechtlich betrachtet ist Ebay ein Anbieter von Internetdienstleistungen und nicht Verkäufer von Produkten. Das bietet uns einen gewissen Schutz, weil wir nicht haftbar für die verkauften Produkte sind. Unser Ziel ist es, diesen rechtlichen Status zu bewahren. Wir wissen nicht, wie sich die politischen und juristischen Rahmenbedingungen mit der fortschreitenden Digitalisierung entwickeln. Das zweite Thema sind Daten.

Inwiefern?

In Zeiten der Globalisierung hat etwa eine Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union einen beachtlichen Einfluss auf unser Geschäft. Hinzu kommen die Fragen von Privatsphäre. Aus rechtlicher Sicht funktioniert diese heute so, dass wir grundsätzlich unsere Daten nicht teilen wollen. Deshalb müssen Behörden und Unternehmen transparent machen, was genau sie mit unseren Daten vorhaben. Die Realität sieht aber anders aus.

Nämlich?

Wir geben mehr von uns preis, als uns lieb ist. Das ist nicht von vornherein schlecht. Daten können helfen, unser persönliches Kundenerlebnis zu verbessern. Das Problem ist nur: Was passiert, wenn ich meine Daten einem Unternehmen nicht mehr zur Verfügung stellen will? Hier sind neue Ansätze nötig.

Wie sehen diese aus?

Eine interessante Idee ist, geschäftliche Beziehungen wie eine Ehe zu regeln. Kommt es zur «Scheidung» zwischen Kunde und Firma, sind die Kundendaten ähnlich wie bei der Errungenschaftsbeteiligung zu handhaben. Der Kunde erhält während der Laufzeit des Vertrags einen Teil seiner Daten zurück, die er dem Unternehmen überlassen hat. Das Unternehmen wiederum darf den anderen Teil behalten.

Wie ist es eigentlich, als Frau im Topmanagement von Ebay zu sitzen?

Ebay ist ein guter Arbeitgeber für Frauen. In der amerikanischen Geschäftsleitung sitzen inzwischen mehr Frauen als Männer. Im ganzen Unternehmen sind vier von zehn Mitarbeitern Frauen. Ohne Technologieabteilung liegt der Frauenanteil sogar bei fast 50 Prozent. Die Zahlen zeigen, dass es nach wie vor zu wenige Programmiererinnen gibt.

Das kann nicht im Sinne von Ebay sein.

Wir unterstützen deshalb diverse Initiativen, die Mädchen fürs Programmieren begeistern wollen. Es geht darum, junge Frauen zu befähigen und ihnen das nötige Selbstvertrauen zu vermitteln, dass sie alles erreichen können. Ich engagiere mich in dem Thema auch persönlich und bin seit kurzem Verwaltungsrätin der internationalen Non-Profit-Organisation Girl Talk, die genau dieses Ziel verfolgt.

Wie ist das bei Ihrer Tochter?

In der Schule hatte meine Tochter im vergangenen Jahr eine Frau gezeichnet, die wie medizinisches Personal gekleidet war. In meiner eigenen Voreingenommenheit fragte ich sie: «Ist das eine Krankenschwester?» Ihre entsetzte Antwort: «Nein, Mama. Das ist doch eine Ärztin!» Es ist ein gutes Zeichen, dass sich das Rollenverständnis bei unseren Jüngsten ändert.

In der Schweiz läuft eine Diskussion über Quoten für Frauen in Verwaltungsräten von börsenkotierten Unternehmen. Was halten Sie davon?

Es braucht wohl eine Frauenquote, um endlich einen Unterschied zu machen. Ich sehe keine Fortschritte, denn der Druck von aussen auf die Unternehmen ist nach wie vor zu klein. Es dauert zu lange. Wenn ich höre, dass es zu wenig fähige Frauen für Führungspositionen gibt, dann ärgert mich das. Gewaltig. Es stimmt schlicht nicht. Es ist eine Ausrede. Wir müssen es schaffen, diesen erlauchten Kreis von Topmanagern für Frauen zu öffnen. Eine Quote wäre eine Möglichkeit.

Fehlt es den Frauen an der ­nötigen Entschlossenheit?

Ach was! Das Problem ist, dass es Frauen schon nicht auf die Shortlists für Führungspositionen schaffen.

Einst galt Ebay als Aushängeschild der Internetwirtschaft. Heute sind es Google, Facebook und Amazon. Ärgert es Sie, dass Ebay vom öffentlichen Radar verschwunden ist?

Überhaupt nicht. Viele Schlagzeilen in Europa über Facebook, Google und Co. sind wenig schmeichelhaft. Es geht meistens um Datenschutz, Datenlecks und Steuern. Wir sind da an einem ganz anderen Ort angelangt. Mir ist lieber, wenn mein Unternehmen nicht für negative Schlagzeilen sorgt.

Unser Eindruck ist auch, dass Ebay heute als weniger schick gilt als auch schon.

Dieser Eindruck ist völlig falsch! Wir treiben Innovation voran und sind technologisch auf dem neuesten Stand. Mit dem aussterbenden klassischen Detailhandel wird es für Marken immer schwieriger, ihre Produkte zu vertreiben. Wir sind bestens positioniert, um hier zu helfen.

Aber Ebay ist in der Schweiz kaum sichtbar, obwohl die Firma in Bern ihren Sitz fürs internationale Geschäft hat. Warum eigentlich?

Wir haben gerade unsere neueste Marketingkampagne in Europa lanciert. Wir sind in den grossen Märkten wie Deutschland und England sehr präsent. In der Schweiz wird die Kampagne aber nicht zu sehen sein. Der Schweizer Markt ist für ein globales Unternehmen wie Ebay leider zu klein und mit seinen vier Landessprachen zu komplex.

Impressum
Text: Jon Mettler (BZ Berner Zeitung), Anouch Seydtaghia (Le Temps)
Fotos: Jon Mettler/Christian Neuhaus
Umsetzung: Claudia Salzmann

Impressum
Text: Jon Mettler (BZ Berner Zeitung), Anouch Seydtaghia (Le Temps)
Fotos: Jon Mettler/Christian Neuhaus
Umsetzung: Claudia Salzmann

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