Wie Schweizer Firmen das Silicon Valley aushorchen

Grosse Schweizer Firmen unterhalten im Silicon Valley Horchposten, um Trends nicht zu verpassen.

Wir haben diese Aussenstellen besucht.

Swisscom: Chat-Bots aus dem Silicon Valley

Im Kundendienst will die Swisscom vermehrt auf künstliche Intelligenz setzen. Dafür entwickelt der grösste Schweizer Telecomanbieter ein System für die Betreuung von Kunden, das als sogenannter «Plauder-Roboter» funktioniert. Anstelle eines menschlichen Beraters sollen Nutzer damit künftig als Gegenüber ein Computer erhalten, der ihre Fragen beantwortet und ihre Probleme löst. Dabei ist es egal, ob die Kunden ihre Anliegen bei der Swisscom telefonisch, per E-Mail, App oder via Internetseite hinterlassen.

bernerzeitung.ch weiss: Die Technologie für dieses Projekt stammt von Jungunternehmen aus dem Silicon Valley. Darauf aufmerksam geworden ist der blaue Riese dank seiner Aussenstelle, die dort seit dem Jahr 1998 Präsenz markiert. «Ziel des Outpost ist es, externe Innovation in die Swisscom einzubringen und damit zum Wachstum des Unternehmens beizutragen», sagt Roger Wüthrich-Hasenböhler, Leiter Digitalgeschäfte bei der Swisscom und Mitglied der Geschäftsleitung. Dem 56-Jährigen sind die 12 Mitarbeiter unterstellt, die für den Horchposten an der US-Westküste arbeiten.

Wüthrich-Hasenböhler empfängt uns im Garten eines typisch amerikanischen Einfamilienhauses in Palo Alto 50 Kilometer südlich von San Francisco. Ein massiver Gasgrill deutet darauf hin, dass hier das eine oder andere Barbecue stattfindet. Schnell wird klar, dass es sich nicht um eine Residenz handelt, sondern um den Aussenposten der Swisscom. Das Unternehmen hat die Wohnzimmer zu Büros umfunktioniert. An der Aussenfassade wehen eine Schweizer Flagge und die Fahne des US-Bundesstaats Kalifornien. Neben der Einfahrt am Zaun prangt das Firmenlogo der Swisscom.


Roger Wüthrich-Hasenböhler im Outpost von Swisscom in Palo Alto.

Im Empfangsbereich schaut ein an die Wand gemalter Pirat mit Augenklappe grimmig auf die Besucher. Darunter steht «Pirates Hub», zu deutsch: Knotenpunkt für Piraten. Damit ist der Ton im Outpost gesetzt. Seine Mitarbeiter verstehen sich als Abtrünnige in den weit entfernten USA, die losgelöst vom operativen Tagesgeschäft der Swisscom tätig sind.

Die Aussendienstler halten einerseits Ausschau nach neuen Technologien, welche im Silicon Valley entstehen. Bei vielversprechenden Start-up-Firmen steigt die Swisscom als Geldgeber ein, um sich Expertise zu sichern. Allerdings sind die Möglichkeiten begrenzt: «Swisscom investiert im frühmöglichsten Stadium in Start-ups, da wir gegen grosse Risikokapitalgeber keine Chance haben», sagt Wüthrich-Hasenböhler.

Auf der anderen Seite pflegt der Aussenposten im Silicon Valley sein wachsendes Netzwerk mit Risikokapitalgebern, Jungunternehmern, etablierten Konzernen, Beratern, Mentoren und Gründerzentren. Nur wer gut vernetzt sei höre im Tal auch das Gras wachsen, sagen die Swisscom-Mitarbeiter in Palo Alto einhellig. Man kennt sich also. Vor allem unter den Schweizern im Silicon Valley.

Nestlé: Kundenverhalten im Fokus

Im Adressbuch der Aussenstation der Swisscom steht deshalb auch der Name Stephanie Naegeli. Vor vier Jahren hat die 36-Jährige in San Francisco den Outpost von Nestlé gegründet. Untergebracht sind die Büros der 19 Mitarbeiter am Pier 17 in den Räumlichkeiten von Swissnex, der offiziellen Schweizer Präsenz im Silicon Valley.

Eine SBB-Bahnhofsuhr mit rotem Sekundenzeiger am Eingang des Piers deutet unmissverständlich auf einen Schweizer Einfluss hin. Am Boden führt eine rote Linie mit Schweizer Kreuzen Besucher direkt zum Eingang von Swissnex. Die Anmeldung bei der Rezeption erfolgt nicht etwa mündlich – sondern elektronisch auf einem iPad.

Keine fünf Minuten später erscheint Naegeli und geleitet uns in einen grossen offenen Raum, der auf kollaboratives Arbeiten für Jungunternehmer ausgerichtet ist. Lange Tische laden zum Arbeiten am Laptop und zum persönlichen Austausch ein. Kleine Inseln mit Sesseln sind als ruhiger Treffpunkt gedacht. Bei der blauen Fensterfront zum Pier dringt der Geist des Silicon Valley durch. Die Scheiben sind eine Innovation aus dem Tal und verfärben sich je nach Intensität des Lichts und Sonnenstand.


Stephanie Naegeli vom Nestlé Silicon Valley Innovation Outpost in San Francisco.

«Unsere Aufgabe ist es, nach draussen zu gehen und Innovation in die Unternehmung reinzuholen», sagt Naegeli im Gespräch. Aufmerksam verfolgt der Nestlé-Outpost die technologischen Fortschritte, welche Einfluss aufs Kochen haben könnten. Ein Beispiel ist Amazon Echo, ein Audio-Gerät mit Sprachsteuerung des Online-Händlers. Nestlé hat in diesem Bereich eine Zusammenarbeit mit Amazon angekündigt. Ziel ist es, für den nordamerikanischen Markt eine Art sprechendes Kochbuch zu entwickeln, das Hobbyköche durch Rezepte führt. «Wer kennt das nicht? Man knetet einen Teig und sollte dann mit klebrigen Fingern die Seiten im Kochbuch umblättern, um mit dem Rezept weiterzufahren», sagt Naegeli.

Noch mehr interessiert sich Nestlé aber für das Verhalten der Konsumenten, das sich wegen neuer Anwendungen verändert. Wichtige Impulse kommen aus dem Silicon Valley, etwa von der Internet-Plattform Feastly. Sie ist vergleichbar mit Uber, dem Online-Vermittler von privaten Taxidiensten. Nur steht bei Feastly die Gastronomie im Vordergrund.

Amateur-Köche können via Feastly wildfremde Leute zu sich nach Hause für ein Essen einladen. Potenzielle Gourmets wiederum können Tische bei unbekannten Gastgebern für ein Essen reservieren. Weil die Gäste die Gerichte bezahlen müssen, gilt Feastly als wachsende Konkurrenz zu herkömmlichen Restaurants. «Solche Angebote verändern das Esserlebnis», sagt Naegeli. «Wir müssen früh herausfinden, wie diese neue Art der Ökonomie funktioniert und das Essverhalten beeinflusst.»

Immer dem Schweizerkreuz nach

Die Markierungen am Pier 17 in San Francisco führen direkt zu Swissnex, der offiziellen Schweizer Präsenz im Silicon Valley.

Coworking Space im Gebäude von Swissnex

Das blaue Fenster verdunkelt sich je nach Lichteinfall und ist eine Technologie aus dem Silicon Valley.

Einsatzplan für die Mitarbeiter von Swissnex

Analog statt digital, das geht auch.

Ja, das ist ein Café

Im Silicon Valley ist man always on, also ständig erreichbar. Auch in den Bars, Cafés und Restaurants.

Besucher und künftige(r) Angestellte(r)

Aufschrift auf allen Parkplätzen von eBay am Hauptsitz in San José.

Die Mobiliar: erweiterte Realität als heisses Thema

Nicht nur die Schweizer Nahrungsmittelindustrie und Telecombranche spähen das Silicon Valley aus, sondern auch die Versicherungswirtschaft. Die Mobiliar ist dort seit dem Jahr 2015 mit einem Outpost vertreten. Der Versicherer schickt pro Jahr bis zu zehn Mitarbeiter in die USA. Diese können sich intern mit einem eigenen Projekt bewerben. Die Geschäftsleitung wählt daraus die Gewinner aus, die ihre Idee in Kalifornien weiterverfolgen können.

«Um den Zuschlag zu erhalten, bedarf es einer guten Geschäftsidee oder Prozessoptimierung, die entweder eine der strategischen Prioritäten in der Digitalstrategie der Mobiliar unterstützt oder das Kerngeschäft des Unternehmens stärkt», sagt Roy Brönnimann.


Roy Brönnimann in San Francisco vor dem Pier 17.

Der 32-jährige Brönnimann und sein 43-jähriger Kollege John Hutchison haben ihre obersten Chefs mit einem Vorschlag zu erweiterter Realität überzeugt. Solche Technologien können in Zukunft den Versicherungsexperten helfen, komplexe Schadenfälle aufzunehmen. Wasserschäden sind hier ein Stichwort. Im Silicon Valley wollen Brönnimann und Hutchison nun herausfinden, ob sich ihr Vorhaben umsetzen lässt. Swissnex und die Swisscom stellen dafür ihre Büros zur Verfügung.

Was bringen die Outposts?

Die Treffen mit den drei Schweizer Spähern im Silicon Valley zeigen: Ihre Aussenstellen sind in einem Umfeld präsent, das sich hartem Wettbewerb stellt und wo die Macher von Selbstvertrauen strotzen. Die meisten Jungunternehmer im Tal sind – ganz unschweizerisch – überzeugt, mit ihren Produkten und Dienstleistungen die Welt zu verbessern. Sie verstehen ihre Tätigkeit als sinnstiftend. Und für sie zählt Messbares wie Technologie, Geld und Erfolg.

Gilt das auch für die Schweizer Outposts? Eine gute Aussenstelle trage zu mehr bei als nur zu handfesten Resultaten, sagt Stephanie Naegeli von Nestlé: «Vielfach ist unser Beitrag, dass wir Inspiration in die Schweizer Konzernzentrale bringen.»

Silicon Valley bedeutet wörtlich übersetzt «Siliziumtal». Der Begriff geht zurück auf den US-Journalisten Don Hoefler, der 1971 in einer Wochenzeitung unter dem Titel «Silicon Valley in den USA» eine Serie über die aufkommenden Wirtschaftsregion im Süden von San Francisco publizierte.
Inspiriert hat Hoefler die wachsenden Zahl von Firmen im Santa Clara Valley, die Halbleiter herstellten. Ein wichtiges Material hierfür ist Silizium.
Bis heute steht der Name Silicon Valley für den bedeutendsten Hightech-Standort der Welt, auch wenn inzwischen Internet-Firmen den Ton angeben.
Wir haben das Silicon Valley auf Einladung der Swisscom eine Woche lang besucht.
In vier Beiträgen beleuchten wir die hellen und dunklen Seiten des «Tals der Träume».

Silicon Valley bedeutet wörtlich übersetzt «Siliziumtal». Der Begriff geht zurück auf den US-Journalisten Don Hoefler, der 1971 in einer Wochenzeitung unter dem Titel «Silicon Valley in den USA» eine Serie über die aufkommenden Wirtschaftsregion im Süden von San Francisco publizierte.
Inspiriert hat Hoefler die wachsenden Zahl von Firmen im Santa Clara Valley, die Halbleiter herstellten. Ein wichtiges Material hierfür ist Silizium.
Bis heute steht der Name Silicon Valley für den bedeutendsten Hightech-Standort der Welt, auch wenn inzwischen Internet-Firmen den Ton angeben.
Wir haben das Silicon Valley auf Einladung der Swisscom eine Woche lang besucht.
In vier Beiträgen beleuchten wir die hellen und dunklen Seiten des «Tals der Träume».

Impressum

Text und Umsetzung: Jon Mettler
Fotos: Christian Neuhaus, Jon Mettler
BZ Berner Zeitung, Dammweg 9, 3001 Bern

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