Wasserkraftwerk Mühleberg

Baustart vor hundert Jahren

Im Herbst 1917 begannen die Bernischen Kraftwerke mit dem Bau des Wasserkraftwerks in Mühleberg.

Die ­betroffenen Bauern waren skeptisch, liessen sich aber überzeugen, auch dank der Entschädigungen.

Es waren harte Jahre zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Auf der Gedenktafel zum Kraftwerksbau in Mühleberg ist von wirtschaft­licher Not und von der Zeit des Krieges geschrieben. Es war aber auch jene Zeit, in der in Europa die Nachfrage nach elektrischer Energie stark anstieg. Und in dieser unsicheren Phase entstand das damals wohl modernste Wasserkraftwerk Europas. Der Preis war hoch. Gegen 300 Hektaren Land verschwanden unter Wasser, rund 40 Gebäude wurden abgerissen und teilweise andernorts wieder aufgebaut


Von der mäandrierenden Aare zum Stausee Wohlen: Ziehen Sie am Slider, um zu vergleichen.

Die Aare unterhalb von Bern war einer jener Flüsse, die sich für die Stromproduktion eigneten. Der Entscheid für das Wasserkraftwerk Mühleberg fiel Mitte der 1910er-Jahre. Die treibende Kraft hinter dem Projekt war Eduard Will, der damalige Direktor der BKW (unten links im Bild, rechts Gabriel Narutowicz, von dem die Pläne stammten) .



Diese Pläne machten auch bei der lokalen Bevölkerung die Runde. So schrieb Rudolf von Tavel in seiner Erzählung «Von grosser Arbeit» (siehe Box) über Bauer Hans Ueli Böhlen, der nach einer Begegnung mit Will sinnierte:

Es musste also doch etwas Wahres sein an dem, was nun schon seit Monaten in den Dörfern herumgeredet wurde, von einem Damm und Wasserwerk, womit man die Aare sperren wollte.

Und Bauer Böhlen machte seinem Gegenüber klar, was er von diesen Plänen hielt:

«So war’s meiner Seel nicht gemeint, als Gott die Welt schuf. Der Erdboden ist dafür da, dass er Frucht bringe, und nicht, dass man ihn ersäufe.»

Die BKW liess sich von der kritischen Haltung nicht beirren und trieb das Projekt voran. Im Dezember 1917 erteilte die Berner Regierung der BKW die Konzession. Einzig die Stadt Bern wehrte sich juristisch dagegen, verfolgte sie doch gleichzeitig selber ein Projekt in der Gäbelbachmündung. Das Bundesgericht wies die Einsprache der Stadt ab.

Die BKW kam etwa der Gemeinde Wohlen dadurch entgegen, dass sie für den Bau neuer Brücken besorgt war. Und die Landwirte wurden grosszügig entschädigt. Wohl nicht ganz so gut, wie sich ein Bauer in von Tavels Geschichte erhoffte:

«Aber», so dachte er plötzlich laut, «wohlfeil überchöme si mys Stöckli nid, u das Gärtli ­müesse si mer zahle wie ne ­Bouplatz a der Bundesgass.»

Die Arbeiten am Wasserkraftwerk begannen bereits im Herbst 1917, bevor die BKW die Konzession erhalten hatte. Die Pläne kamen von Gabriel Narutowicz (unten im Bild), damals Professor für Wasserbau an der ETH Zürich. Das Werk Mühleberg gilt als Krönung ­seiner ­Ingenieurlaufbahn. Narutowicz kehrte nach der Unabhängigkeit Polens in seine Heimat zurück. Am 9. Dezember 1922 wurde er zum ersten Staatspräsidenten Polens gewählt, aber nur eine Woche später ermordet.

Das Baugerüst für das ­Kraftwerk ­Mühleberg ist ein Wunderwerk der ­Technik. Die Zimmerleute leisteten ganze Arbeit. Eine ­Aufnahme von Ende ­September 1919. Quelle: Archiv BKW / Repro ­Raphael Moser

Das Baugerüst für das ­Kraftwerk ­Mühleberg ist ein Wunderwerk der ­Technik. Die Zimmerleute leisteten ganze Arbeit. Eine ­Aufnahme von Ende ­September 1919. Quelle: Archiv BKW / Repro ­Raphael Moser

Der ursprüngliche Verlauf der Aare. Im Hintergrund hat der Bau des Wasserkraftwerks Mühleberg bereits ­begonnen. Quelle: Archiv BKW / Repro ­Raphael Moser

Der ursprüngliche Verlauf der Aare. Im Hintergrund hat der Bau des Wasserkraftwerks Mühleberg bereits ­begonnen. Quelle: Archiv BKW / Repro ­Raphael Moser

Mit einer ­gleislosen Bahn wurde schweres ­Material vom ­Bahnhof ­Gümmenen zur Baustelle ­transportiert. Quelle: Archiv BKW / Repro ­Raphael Moser

Mit einer ­gleislosen Bahn wurde schweres ­Material vom ­Bahnhof ­Gümmenen zur Baustelle ­transportiert. Quelle: Archiv BKW / Repro ­Raphael Moser

Eine eigene Arbeitersiedlung

Der Bau war mit einem grossen Personalaufwand verbunden. Bis zu tausend Personen arbeiteten gleichzeitig dort. Die Rekrutierung war schwierig, weil mögliche Arbeitskräfte während des Ersten Weltkriegs im Aktivdienst weilten. Für die Arbeiter wurden eigens Baracken als Unterkunft aufgestellt, für Maschinisten und Ingenieure Wohnhäuser, die nach Bauende stehen blieben. Dazu kamen etwa eine Kantine und eine Spitalbaracke.

Nicht nur zwei Aarehochwasser und Grippewellen erschwerten den Kraftwerksbau. Es gab immer wieder Arbeitskämpfe. Es ging um höhere Löhne und bes­sere Bedingungen wie kürzere Arbeitszeiten. Mehrmals kam es bei Streiks zum Kräftemessen zwischen Arbeitern, Gewerkschaften und BKW. Während des Landestreiks im November 1918 wurde die Baustelle sogar vom Militär, einem Kavallerie-Detachement, bewacht.



Die Stundenlöhne stiegen von anfangs 72 Rappen auf gut 1.70 Franken. Zusammen mit der Inflation und den höheren Materialpreisen schlug sich das auf die Gesamtkosten aus. Statt 17 Millionen Franken kostete das Wasserkraftwerk 40 Millionen.

Der Transport des Materials auf die Baustelle war eine grosse Herausforderung. Der Treibstoff war knapp und teuer, die Landwirte brauchten die Pferde für die Feldarbeit. Deshalb wurde eine elektrisch betriebene, gleislose Lastwagenbahn konstruiert, die grosse Lasten ab dem Bahnhof Gümmenen auf den Werkplatz transportierte. Ein ungewohnter Anblick für die Landbevölkerung, wie Rudolf von Tavel beschreibt:

Im Dorf hielt eben einer jener Lastwagen, die an dünnem Draht Dutzende von Zentnern spielend über den Berg führten.

Trotz dieser Probleme waren die Hauptarbeiten im Frühjahr 1920 abgeschlossen, und die Aare wurde aufgestaut. Langsam versanken die Felder im Wasser. Ein Bauernsohn überkam bei diesem Anblick in «Von grosser Arbeit» ein seltsames Gefühl:

So war dem Element, das einst frei waltend und mutwillig zerstörend durch das liebliche ­grüne Tal lief, die Bahn genau gewiesen. Seine Kraft war ihm sozusagen bis auf den letzten Tropfen abgezwungen zu nützlicher Arbeit.

Zur Serie
Genau hundert Jahre ist es her, dass der Bau des Wasserkraftwerks Mühleberg begonnen hat. Drei Jahre später wurde die Aare gestaut, im Nordwesten Berns entstand ein neuer See, der später den Namen Wohlensee erhielt. Diese Zeitung nimmt den Baubeginn im Herbst 1917 zum Anlass, der Geschichte des Wasserkraftwerks und des Wohlensees in den nächsten Monaten eine Serie zu widmen. Über die aufgestaute Aare brauchte es neue Übergänge; neue Tier- und Pflanzenarten siedelten sich am Wohlensee an. Und nicht zuletzt ist der See ein grosses Naherholungs­gebiet für viele Aktivitäten.

Impressum
Fotos: Christian Pfander
Historische Bilder: Archiv BKW / Repro ­Raphael Moser
Text: Hans Ulrich Schaad
Umsetzung: Claudia Salzmann
Quellen:
«Wohlen im 19. und 20. Jahrhundert» von Thomas Brodbeck und Andrea Schüpbach. «Woh­lensee, Entstehung – Geschichte – Fauna – Flora – Schutz», Verein Heit Sorg zum Wohlensee (Simone Schenk). «Wasserkraftwerke der Bernischen Kraftwerke AG, das Elektrizitätswerk Mühleberg», Sonderdruck aus der Schweizer. Bauzeitung, Mai/Juni 1926. Diverse Zeitungsartikel.

Impressum
Fotos: Christian Pfander
Historische Bilder: Archiv BKW / Repro ­Raphael Moser
Text: Hans Ulrich Schaad
Umsetzung: Claudia Salzmann
Quellen:
«Wohlen im 19. und 20. Jahrhundert» von Thomas Brodbeck und Andrea Schüpbach. «Woh­lensee, Entstehung – Geschichte – Fauna – Flora – Schutz», Verein Heit Sorg zum Wohlensee (Simone Schenk). «Wasserkraftwerke der Bernischen Kraftwerke AG, das Elektrizitätswerk Mühleberg», Sonderdruck aus der Schweizer. Bauzeitung, Mai/Juni 1926. Diverse Zeitungsartikel.

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