Der Igel und der Frosch

Biologin Sabine Tschäppeler berät Gartenbesitzer. Sie gibt Tipps, die deren Gärten lebenswerter für einheimische Tiere und Pflanzen machen.

Obwohl sechs von zehn Personen sich solche Gärten wünschen, sind bisher nur wenige naturnah.

«Wenn es dem Igel gutgeht, hat auch die Erdkröte etwas davon.» Das ist quasi ein Motto von Sabine Tschäppeler, wenn sie zu Gartenbegehungen eingeladen wird. Tschäppeler, welche die Fachstelle Natur und Ökologie der Stadt Bern leitet, hat mit ihrem Team seit der Lancierung des Angebots vor einem Jahr rund 25 Stadtberner Gärten mit ihren Besitzern begutachtet.

Naturnahe Gärten sind selten

Ausnahmsweise besucht Tschäppeler für die Wohnserie dieser Zeitung nun auch den Garten in der Siedlung Oberfeld in Ostermundigen und jenen des Einfamilienhauses am Brüggliweg 9 in Rubigen. Die Biologin ist sofort in ihrem Element, stöbert herum, findet überall einen Ansatzpunkt für gute Ratschläge. Sie will Gärten nicht bewerten. «Ich will viel mehr zuerst herausfinden, was den Garten­besitzern lieb und teuer ist», berichtet sie. «Daran rüttle ich nicht. Es gibt genug Potenzial darum herum.»

Mit Potenzial meint sie mehr Raum für einheimische Pflanzen und Tiere. Denn Siedlungsgärten sind selten naturnah. Bei einer Untersuchung in Binningen im Kanton Baselland traf das auf fast alle Gärten zu. Je nach Quartier konnten nur 7 bis 20 Prozent der Gärten als naturnah bezeichnet werden. Dabei wünschen sich Schweizerinnen und Schweizer abwechslungsreiche Gärten, wie eine Untersuchung im Rahmen von «Biodivercity» offenbarte.

Dieser nationale Forschungsschwerpunkt zeigte 2010 unter anderem auf, dass 60 Prozent von 1000 befragten Personen Bilder von Gärten mit Bäumen, Büschen und vielen Nischen gegenüber den vorherrschenden aufgeräumten Gärten bevorzugen. Was sechs von zehn schön finden, bietet auch der Natur mehr Raum.

Dazu brauchen die Tiere Futter, das sie beispielsweise in unaufgeräumten Ecken oder beim Kompost finden: Je reichhaltiger der Garten, desto grösser ist auch das Futterangebot. Wo Blumen blühen, finden Insekten Nahrung und damit auch der Igel. Das Abbauen von unüberwindbaren Hindernissen wie Schwellen oder Zäunen erleichert den Tieren ebenfalls das Leben.

Interessanterweise halten sich schon heute mehr Tier- und Pflanzenarten in Siedlungen auf als in manchen Wäldern oder auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Insgesamt bieten Siedlungen mit ihren Brachen und vergessenen Ecken mehr Nischen als intensiv genutzte Monokulturen. Eine Untersuchung in der Stadt Genf förderte 2013 auf 50 Hektaren innerhalb der Stadt 771 Pflanzenarten zu­tage, was 36 Prozent aller nach-gewiesenen Arten auf dem fast 600-mal grösseren Kantonsgebiet entspricht.

Igelnest als Ausgangspunkt

Diese Erkenntnis stärkt Tschäppeler den Rücken. Sie engagiert sich seit elf Jahren für mehr Biodiversität im Siedlungsraum. In Rubigen, wo auch einige grosse Birken stehen, die das reife Alter des Gartens erahnen lassen, zeigt ihr die Familie Buchs ein Igelnest in den Büschen hinter dem Gartenhaus. Tschäppeler nimmt den Faden auf und erzählt, was ein glücklicher Igel zum Leben braucht.

Etwa Säume mit längerem Gras oder Büsche. «Igel laufen zwar gerne über offene Rasenflächen», informiert Tschäppeler. Sie finden hier aber keine Nahrung und brauchen Deckung, um sich bei Gefahr verstecken zu können. Beispiele dazu findet sie im Garten bereits. Sie weist auf Stellen hin, wo mit wenig Aufwand etwas zu verbessern wäre.

Glögglifrösch im Steinbruch

Doch die Biodiversität innerhalb von Siedlungen ist labil. Wird dichter gebaut oder werden Gebäude saniert, können Lebensräume verloren gehen. 60 Prozent der Siedlungsfläche ist bereits versiegelt, das heisst sie ist quasi ohne Vegetation. Dort, wo es welche gibt, dominiert Rasen.

Tschäppeler plädiert für etwas mehr Nachlässigkeit bei der Pflege der Grünräume. Wer das zulässt, wird dafür mit neuen Gartenbewohnern belohnt. In Rubigen deutet sie auf den weiten ­Giebel des Hauses und empfiehlt Nistmöglichkeiten für Schwalben, im städtischeren Oberfeld hingegen Nistkästen für Mauersegler.

Für die Biologin zählt aber auch die Vernetzung von Lebensräumen. Ein einzelnes, isoliertes Biotop bringt sonst wenig. Nicht weit entfernt von der Siedlung Oberfeld hat die Geburtshelferkröte in den Steinbrüchen eines ihrer letzten Rückzugsgebiete im Kanton Bern. Darum freut von sich Tschäppeler besonders über den Teich, den ihr Lukas Rohrer beim Rundgang zeigt. «Vielleicht finden die Glögglifrösche einmal den Weg bis hierher», lockt Tschäppeler und macht Bewohner damit zu Komplizen für ein übergeordnetes Ziel: einen naturnäheren Siedlungsraum. Der erst dreijährige Garten der Siedlung Oberfeld wurde von einem Landschaftsgärtner angelegt, der nun von den 250 Siedlungsbewohnern gemeinsam unterhalten wird.

Stadtbernerinnen und Stadtberner, die Tschäppeler oder jemand von ihrer Fachstelle in den eigenen Garten bestellen, erhalten danach ein umfangreiches Dossier, in dem die besprochenen Fragen samt Empfehlungen festgehalten sind. Für Tschäppeler geht es dabei auch um Verbindlichkeit: «Der Rundgang ist gratis, wir bedingen uns aber aus, dass wir ein, zwei Jahre später wieder vorbeischauen können.»

Bis dahin, hofft sie, sollten einige Tipps umgesetzt sein. Damit es in den Berner Gärten nebst dem putzigen Igel auch anderen Pflanzen und Tieren besser geht – sogar der hässlichen Erdkröte.

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