Herr Neuhaus, Sie wohnen in einem alten Bauernhaus im Weiler Viehweide bei Belp. Wie kam es dazu?
Christoph Neuhaus: Meine Frau ist Amerikanerin. Ihr war es zu beengt in der Eigentumswohnung, in der ich vorher lebte. Um die jetzige Liegenschaft hat es Umschwung und damit etwas Distanz zu den Nachbarhäusern.

Sie wuchsen in einem Bauernhaus auf. Wie wichtig war das?
Das spielt auch eine Rolle. Ich schätze es als Ausgleich zur Arbeit als Regierungsrat, wenn ich auch einmal Gras mähen oder Heu schleppen kann. Wir haben Schafe, Pferde, Kaninchen und Gänse. Die Hühner holte leider diesen Sommer der Fuchs.

Belp wird weiter wachsen. ­Vielleicht können Ihre Schafe bald nicht mehr vor der Haus­türe grasen. Was dann?
Hinter dem Haus ist Landwirtschaftsland. Aber die Parzelle zur Strasse hin ist tatsächlich eingezont. Dieses Bauland gehört uns. Wir wollen es in den nächsten Monaten verkaufen.

Und dann wird es überbaut?
Ja. Mir wäre der freie Blick natürlich lieber. Aber immerhin wird künftig der Strassenlärm abgeschirmt. Finanziell und raumplanerisch macht es sowieso Sinn, dass dort gebaut wird.



Nehmen Sie sich als politischer Chef der kantonalen Raum­planung zu Herzen, dass man Land gut nutzen soll?
Geplant ist ein grosses und hohes Gebäude, das wir allerdings nicht selber bauen. Es wird zu einem Viertel Gewerberäume und zu drei Vierteln Wohnungen enthalten. Wir gewähren ein Näherbaurecht und überschreiben einen Teil der brachliegenden Ausnützung von unserer auf die benachbarte Parzelle.

Rechnen Sie mit Widerstand?
Sobald die Profile stehen, ist natürlich immer damit zu rechnen. Aber das Bauprojekt erfüllt sämtliche Anforderungen der geltenden Bauordnung.

Verdichtung ist in aller Munde. Wie dicht sollen bernische ­Siedlungen eigentlich werden?
Seit das Stimmvolk 2013 dem revidierten Raumplanungsgesetz zugestimmt hat, muss Boden ­effizienter genutzt werden. Der Grosse Rat verschärfte trotz meiner Warnung die Vorgaben noch bei der kantonalen Umsetzung. Konsequenterweise müssen wir uns jetzt daran halten. Im selben Tempo wie bisher kann es sowieso nicht weitergehen. Unsere und die vorangegangene Generation haben so viel gebaut wie sämt­liche Generationen davor.

Wachsen sollen künftig vor allem noch Städte, Agglomerationen und gut erschlossene Dörfer. Deren Bevölkerung lehnt das zum Teil aber ab. Kommt es zu Dichtestress?
Ich war diesen Herbst in New York in den Ferien. So wie dort sieht es bei uns noch lange nicht aus. Eine wachsende Bevölkerung, eine boomende Wirtschaft und unsere steigenden Ansprüche zum Beispiel an die Wohnfläche zollen aber ihren Tribut.

Bis 2030 wird Berns Bevölkerung um 100'000 Personen zulegen. Wird sie im Stau versauern?
Ich denke nicht. Der kantonale Richtplan sieht vor, dass Zuzüger eher dort wohnen, wo sie arbeiten, beziehungsweise dort, wo die Erschliessung gut ist. Diese Entwicklung findet übrigens so oder so statt. Der Richtplan vollzieht bloss nach, was geschieht.

Tatsächlich?
Zentrale Wohnlagen sind gefragt, und abgelegene Gemeinden stagnieren. Allerdings werden immer längere Arbeitswege in Kauf genommen, um einen Umzug zu vermeiden.

Viele Menschen wollen nicht bei jedem Stellenwechsel umziehen und wie Sie nach wie vor gern etwas eigenes Grün ums Haus. Was sagen Sie diesen Leuten?
Es gibt widersprüchliche Entwicklungen. Das ist so. Ich bin mir aber nicht sicher, ob eigener Umschwung noch so viel zählt wie vor einigen Jahren. Dessen Pflege ist aufwendig. Stockwerkeigentum ist die Alternative dazu. Diese Kategorie erlebt einen regelrechten Boom. Das Idealbild ­bewegt sich weg vom Einfamilienhaus hin zu qualitativ hochstehenden Siedlungen. Selbst Hochhäuser können eine gute Lebensqualität bieten, wie die Überbauung Bächtelen in Wabern zeigt.

Sie können nicht wegdiskutieren, dass Verdichten Widerstand auslöst. In Köniz durchkreuzten Hausbesitzer die Pläne der Gemeinde. Haben Sie dafür Verständnis?
Als Hausbesitzer schon. Die Behörden werden viel Überzeugungsarbeit leisten müssen.

Konkret ging es in Köniz um das Abschöpfen des Planungsmehrwerts. Ist es falsch, wenn das Gemeinwesen einen Teil des Wertzuwachses einzieht, der eintritt, weil auf dem Grundstück höhere Häuser erlaubt werden?
Grundsätzlich nicht. Problematisch daran war, dass die Gemeinde abkassieren wollte, bevor die Hausbesitzer den Mehrwert realisiert gehabt hätten. Nun hat die Gemeinde reagiert. Jetzt soll die Abgabe erst dann fällig werden, wenn gebaut wird.

Dies verstösst laut Experten gegen übergeordnetes Recht. Ist das egal?
Das kann ich heute noch nicht beantworten. Das werden Juristen klären müssen.

Die neuen Vorgaben sorgen nicht nur dort für Ärger, wo verdichtet werden soll. Auch auf dem Land gibt es Unmut, weil kleine Dörfer nicht mehr wachsen können.
Das stimmt so nicht. Wachstum ist auch dort möglich. Regionale Zentren, etwa Frutigen oder Meiringen, haben durchaus Potenzial. Hinzu kommen im ganzen Kantonsgebiet beträchtliche, aber gehortete Baulandreserven.

Dann ist alles halb so schlimm?
Ganz so einfach wird es nicht, diese zu mobilisieren. Auch da sind die Behörden gefordert. Sie müssen dafür sorgen, dass diese Reserven genutzt werden können.

Sollen sie die Eigentümer dazu zwingen?
Können sie diese von der Notwendigkeit überzeugen, ist das ­sicher sinnvoller.

Wenn das nicht fruchtet?
Dann bietet das Baugesetz ein Sträusschen von Massnahmen, um Druck auszuüben.

Und nun noch zu den Bauern. Sie drängen auf einen besseren Schutz ihres Kulturlandes, ­bauen aber gleichzeitig Ställe, Scheunen oder Wohnungen ­darauf. Konsequent ist anders.
Anderseits wird von den Bauern auch Arbeitseffizienz und Marktfähigkeit erwartet. Dazu brauchen sie moderne Gebäude. Im Kanton Bern mit seinen vielen Bauernhäusern machen zusätz­liche Wohnungen unter den bereits bestehenden Dächern zudem Sinn.

Landschaftsschützer warnen, dies verstärke die Zersiedelung und führe zu mehr Strassen.
Diese Bedenken teile ich nicht. Die Infrastruktur ist oft schon vorhanden. Ob nun vier statt zwei Autos pro Tag darauf fahren, ist einerlei.

Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) fand, der Kanton Bern gehe zu freizügig um mit dem Bauen ausserhalb der Bauzone.
Diesen Konflikt haben wir beigelegt. Wir konnten dem ARE klarmachen, dass Vorschriften zeitgemässes Wohnen nicht verhindern sollten. Der Anbau eines kleinen Balkons sollte möglich sein. Ansonsten lohnt sich ein Ausbau gar nicht. Als Folge davon würden Bauernhäuser zerfallen.

Bundesrätin Doris Leuthard möchte als oberste Raumplanerin der Schweiz den Wildwuchs ausserhalb der Bauzone mit einer zweiten Revisionsetappe des Raumplanungsgesetzes eindämmen. Was halten Sie davon?
Die Kantone sind sehr kritisch eingestellt. Etliches ist im zweiten Anlauf nun besser aufgegleist, aber längst noch nicht zu Ende gedacht.

Wie soll es weitergehen, da auch die zweite Vernehmlassung sehr negativ endete?
Für uns geht es nach wie vor zu schnell. Wir stecken mitten in der Umsetzung der ersten Revisionsetappe. Ich gehe davon aus, dass die neue Vorlage erst nach dem Rücktritt von Doris Leuthard 2019 reif ist für das Parlament und nicht wie beabsichtigt im nächsten Jahr.

Kehren wir zum Wohnen zurück: Wir begleiten seit dem Frühjahr zwei Familien durch ihren Wohnalltag. Die eine lebt in einem Einfamilienhaus in Rubigen. Wird dieses Wohnmodell künftig noch möglich sein?
Die Realisation dieses Traums wird um einiges teurer. Ich gehe sogar davon aus, dass bestehende Einfamilienhausquartiere verschwinden werden.

Die andere Familie lebt in der verdichteten Siedlung Oberfeld in Ostermundigen, wo man den Aussenraum gemeinsam pflegt. Könnten Sie so leben?
Durchaus.

Wäre Ihnen das nicht zu anstrengend?
Vor nicht allzu langer Zeit lebten noch drei Generationen gemeinsam unter einem Dach. Wir müssen das Zusammenleben wieder lernen. Zudem bieten auch moderne, schallisolierte Wohnungen in Mehrfamilienhäusern Privatsphäre. Ich hatte bei der Lektüre der Wohnserie jedenfalls nicht den Eindruck, dass die Familie im Oberfeld unglücklich wäre.

Und hier die Wünsche der Familien aus Ostermundigen und Rubigen an ihren Wohnort:


Wer soll dafür sorgen, dass die Verdichtung gelingt und die ­Lebensqualität dabei nicht auf der Strecke bleibt?
Da sind alle gefordert – von den Behörden über die Bauherren bis zu den Bewohnern. Vorschriften allein werden es nicht richten. Wenn ich als Vorsteher der kantonalen Gerichte und Schlichtungsstellen die Fights rund ums Bauen und Wohnen sehe, kann ich nur sagen: Gut beraten sind jene, die ihre Energie in konstruktive Lösungen investieren und nicht in juristische Streitereien.