Wer hinter der Älplern steht

Die von Grünigens sind eine der vier Familien, die ihr Vieh auf die Alp Berschel gibt. Ihr Hof befindet sich in Gruben bei Schönried.

Einmal die Woche holt die Bauernfamilie den Käse auf der Alp Berschel ab.

Drei Hühner sind einem Fuchsangriff zum Opfer gefallen, ein Hase ist davongelaufen, und der Kuhstall ist auch leer. Exodus auf dem Hof der von Grünigens in Gruben bei Schönried? Falsch ­gedacht, die Kühe sind den Sommer über auf der Alp Berschel, die im Mitbesitz der Familie von Grünigen ist. Sie selber bleibt auf dem Hof im Tal, den sie 2004 übernommen hat. Für die Betreuung der Tiere stellen von Grünigens Sennen an, derzeit sind zwei aus der Stadt Bern zuständig.

In der Küche des Hofes stehen auf dem Tisch nebst gekauftem Brot auch Holunderblütensirup, Joghurt und Konfitüre bereit – alles von Sonja von Grünigen selber gemacht. «Mit Lebensmitteln zu arbeiten, hat mich schon immer interessiert», erzählt die 44-Jährige. Vom «Chies», wie sie den Käse im Lauener Dialekt ausspricht, habe sie zwar Kenntnisse, aber noch nie den ganzen Durchlauf selber gemacht. «Und von den Sennen kann man etwas lernen», sagt sie. Während sie spricht, hört man den Regen aufs Dach trommeln. Die vierköpfige Familie bewohnt die selber aus- und umgebaute Heubühne des Hofes. Im Erdgeschoss wohnen die Eltern von Kurt.


Während der Bauer Kurt von Grünigen weniger Freude am Alpleben hat, könnte sich Sonja von Grünigen dafür begeistern. «Nach der Schule habe ich drei Sommersaisons als Zusennerin verbracht», erinnert sie sich. Dass die Familie mit Saisonsennen arbeitet, hat drei Gründe: «Wenn wir selber oben wären, müssten wir unten fürs Heuen ­jemanden anstellen», sagt Kurt von Grünigen beim Gespräch am Küchentisch.

Die anderen beiden Gründe sitzen mit am Tisch: der 12-jährige Yvan und der 9-jährige Andri. Mit der Schule und den Fahrten zum Schwingtraining wäre es sehr aufwendig. Die beiden Brüder ­haben gerade Ferien und können so mehr Zeit in ihre Geschäfte ­investieren: Yvan verdient sein Sackgeld mit Eierverkaufen, und Andri hat schon wieder einen ­Hasen zugelegt für die Zucht. Er will Metzger werden und übt schon an Mäusen.

Seit 2014 haben sie zwei Sennen auf ihrer Alp Berschel. Diese finden sie jeweils auf der Website zalp.ch, wo sie schon im Herbst des vorherigen Jahres schauten, wer sich eignen würde. «Wir haben gemerkt, dass es seit 2016 mehr Schweizer gibt, die sich dafür interessieren», erklärt Kurt von Grünigen. Vorher haben sich vor allem Deutsche, Österreicher und Polen angemeldet. Den Grund dafür sehen die von Grünigens darin, dass es einen Trend gibt, zurück zur Natur zu gehen. «Für uns ist das natürlich erfreulich, da es unbürokratischer ist, einen Schweizer einzustellen.»

Was nicht heisst, dass noch nie jemand aus dem Ausland auf ihrer Alp tätig war, im Gegenteil: 2015 seien zwei Frauen aus Deutschland oben gewesen. «Das hat sehr gut geklappt», erinnert sich Kurt von Grünigen. Der Käse der Senninnen steht heute ebenfalls auf dem Tisch, mit Salzkristallen versetzt. Aber die beiden Buben stibitzen lieber ab und zu ein Güezi. Plötzlich entdecken die Brüder durchs Fenster einen Regenbogen. Alle treten kurz auf den Balkon und bewundern ihn, wie er den leeren Stall überspannt.

Sonja von Grünigen über Sympathie, das einfache Bauernleben und ihren Traum:


Zurück in der Küche, erzählt Sonja von Grünigen, wie sie die Sennen auswählen. Wichtiger als die Nationalität sei die Sympathie, die man jeweils bei einem Treffen teste. «Ich schaue auch, dass die Leute nicht eine zu romantische Vorstellung haben.» Bei den aktuellen Sennen Danijar Hänni und Samuel Mettler sei ausschlaggebend gewesen, dass Hänni etwas Handwerkliches, nämlich Schmied, mache und Mettler schon Erfahrung als Senn habe. Und: «Die Sprache könnte ja ein Grund sein, Schweizer einzustellen. Aber manchmal verstehen uns nicht einmal die Stadtberner», sagt Sonja von Grünigen.

Gemüse rauf, Käse runter

Es ist kurz vor 10 Uhr. Sonja von Grünigen muss Käselaibe auf der Alp abholen, da der Keller oben voll ist. Dort haben nur 60 Stück Platz, so müssen immer wieder Laibe ins Käsereifungs­lager im Tal gebracht werden. Sonja von Grünigen hat sich aufgeschrieben, was sie alles mitnehmen will. Ein Drittel der am Morgen geernteten Zucchetti, Krautstiele, Bohnen sowie Kaffeepulver. Und die frisch gewaschene Wäsche der beiden Sennen. «Sie sind unkompliziert und geben nicht einmal alle Kleider zu waschen», sagt sie und steigt in den Subaru. Der Regenbogen ist schon lange verschwunden, und eine weisse Wand nähert sich. Wir folgen einer serpentinenartigen Strasse, passieren den Vorberg. Hierher werden die Kühe Ende August gebracht.

Sie bewundere, wie schnell sich die beiden an das einfache Landleben gewöhnt hätten. «Umgekehrt würde ich mich nie so schnell ins Stadtleben integrieren», ist sie sich sicher. Manchmal geht sie nach Thun in den Ausverkauf, weil Kleider in Gstaad unbezahlbar seien und die Migros nicht so viel Auswahl habe. «Aber ich bin jedesmal froh, wenn ich wieder heimkann», gibt sie zu.

Nach etwa zwanzig Minuten Fahrt, die letzten paar Kilometer über eine Schotterstrasse, taucht die Alp Berschel auf. Sonja von Grünigen parkiert ihr Auto so, dass sie mit den Laiben keinen Schritt zu viel gehen muss, immerhin wiegen sie etwa zwölf ­Kilogramm. Aus dem Käsekeller schaut Sami Mettler raus, der ­gerade mit Schmieren beschäftigt ist. Nach der Begrüssung misst von Grünigen die Laibe, mindestens 36 Zentimeter Durchmesser müssen sie aufweisen, eine Vorgabe der Molkerei. Die Sennen haben gute Arbeit ­geleistet, sie findet schnell passende Laibe.

Ein Einblick in den Käsekeller:

Nachdem von Grünigen und Mettler die Laibe ins Auto gehievt haben, fährt die Bäuerin ab, um den Käse abzuliefern. Mit einem «Tschou zäme» und Winken verabschiedet sie sich.

Oben in der Käserei hat Danijar Hänni, der Mitsenn von Mettler, gerade das Kessi übers Feuer geschoben. Seit zwei Monaten verbringen sie den Morgen jeweils in der Käserei. Der erste Monat war Einarbeitungsphase, im zweiten hätten sie sehr viel Besuch gehabt. In einem Monat geht es ­wieder talwärts.

Zu Beginn der Saison waren die beiden voll des Lobes für ihren Mitsennen, wie sieht es jetzt aus? «Wir verstehen uns immer noch prächtig», erzählt Mettler bei Kaffee und Geburtstagskuchen, den die Bäuerin für ihn gebacken hat.

Die Neo-Sennen über ihre Saison, das Heimkehren nach Bern und den Mitsennen:


Einen Disput um eine Kleinigkeit hätten sie gehabt: «Ich wollte das Birchermüesli mit einem Suppenlöffel essen, wie ich es daheim immer gemacht habe. Und nicht mit einem Kaffeelöffel, das ist Diätbesteck», erinnert sich Hänni. Beide müssen grinsen.

Viele ihrer Freunde seien sie besuchen gekommen, und die Sennen hätten ihnen zeigen können, was sie hier machen. Eine Schaukäserei für Kumpels. Für Hänni ist es die erste Saison: «Und bestimmt nicht die letzte. Mir hat es definitiv den Ärmel reingenommen.» Dem pflichtet Mettler bei.

Sie werden die Erfahrungen der Alpsaison nicht nur als Lebensschule mitnehmen, für ihre Arbeit gibt es auch eine kleine Entlohnung. Zwischen 60 und 75 Franken pro Tag und Person, weniger als 5 Franken die Stunde. Das sei nicht viel, aber viele Familien könnten nicht mehr bezahlen. «Ausserdem gibt man ja drei Monate lang praktisch kein Geld aus», sagt Hänni. Und Mettler ergänzt: «Wir dürfen ja auch Milchprodukte konsumieren, somit gibt es auch einen Naturallohn.»

An die Stadt Bern und ihre Rückkehr denken sie nicht. Falls der Gedanke kurz aufkomme, freuten sich beide. Mettler sagt: «Ich werde als Erstes bei meiner Freundin läuten, dann freue mich aufs Zeitunglesen und aufs Kaffeetrinken.» Auf seine Partnerin freut sich Hänni auch. Und ebenfalls auf Schnipo. Mettler schaut Hänni an und meint: «Ja, Schnipo, das wär was. Vielleicht können wir ja zusammen gehen?»

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Fotos: Claudia Salzmann
Text: Claudia Salzmann
Videos: Claudia Salzmann

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Fotos: Claudia Salzmann
Text: Claudia Salzmann
Videos: Claudia Salzmann

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