Michael Aebersold

Michael Aebersold macht seit 20 Jahren Politik, hat Karriere gemacht, nun will er in den Gemeinderat. Zwei Dinge stehen im Weg.

Die ältere Dame will gar nicht mehr aufhören. Frau Wyss macht dies gut, Frau Wyss macht das gut. Sie lobt und lobt und lobt. Und ihre Tochter habe sogar mit der Wyss studiert. Der Mann vis-à-vis blickt immer gequälter. Er hat der Dame zuvor einen Wahlzettel in die Hand gedrückt. Darauf ist er zu sehen. Und eben auch Ursula Wyss. Die Dame betrachtet den Zettel, dann wieder den Unbekannten und wieder den Zettel. Bedaure, ihn kenne sie leider nicht, sagt sie. Das ist irgendwie nicht überraschend, so geht es vielen Bernerinnen und Bernern, wenn man sie nach ­Michael Aebersold fragt.

Michael Aebersold – 54-jährig, verheiratet, zwei erwachsene Kinder – möchte für die SP in den Berner Gemeinderat. Es war die klassische Ochsentour, die ihn bis zu dieser Kandidatur geführt hat: von der Quartiersektion in den Stadtrat, danach ins Kantons­parlament, wo er bis zum Fraktionschef aufstieg. Die einzelnen Schritte hätten sich so ergeben, er habe nichts forciert. Ob Mieterverband oder Pro Natura, die ­Liste seiner Mandate in Verbänden lässt sich sehen. Der Doktor der Chemie ist Chefbeamter im Bundesamt für Energie (BFE) und leitet die Sektion radioaktive Abfälle. Aebersold ist Bernburger, kommt aus gutbürgerlichem Haus, war Oberleutnant. Zur Entspannung rennt er gerne auf den Gurten, manchmal dreimal hintereinander. Er sei nicht verbissen, er sei zielstrebig, sagt er.

Er quält sich im Wahlkampf

Kurz: Der Mann hat Ausdauer und ein riesiges Netzwerk. Aebersold weiss um seine Stärken. Er sei der Mann, der den Stadt-Land-Graben überwinden könne. Er will die Stadt Bern besser positionieren, gegenüber anderen Gemeinden, dem Kanton und dem Bund. Der Mann hat einen Draht zu allen politischen Ebenen und vielen Machtzentren des Landes. Weibeln beim Volkswirtschaftsdirektor, lobbyieren in der Bundesverwaltung, netzwerken bei den Bernburgern. Und ­Aebersold, obwohl «klar links und klar grün», will mit den Bürgerlichen reden. Das ist für viele bei RGM schon fast revolutionär.

Dafür muss er aber zuerst Gemeinderat werden, im Weg stehen zwei Dinge: seine Kollegen und sein Naturell. Auf der RGM-Liste wollen drei Leute Stadtpräsident werden. Wyss, Teuscher und von Graffenried erhalten die ganze Aufmerksamkeit. Kandidat Nummer vier, Aebersold, bleibt im Schatten. Eine schwierige Ausgangslage dafür, sich ins Bild zu rücken. Besonders für einen so unauffälligen Mann wie ihn. Kritiker attestieren ihm das Charisma eines Buchhalters während des Mittagsschläfchens. Aebersold ist kein Verkäufer, er weiss das selber. «In eigener Sache fällt es mir schwer, Leute anzusprechen», sagt er. Für eine Sache oder für jemanden anderes sei dies deutlich einfacher.

Der Mann quält sich sichtbar, als er am Vormittag Wahlzettel verteilen muss. Die Genossinnen können ihm noch so gut zureden, keine zehn Minuten hält er es aus. Am Nachmittag hört er ganz mit dem Verteilen auf. «Du wirst als absent wahrgenommen. Man sieht öffentlich nur die Stapi-Kandidaten», sagt eine Genossin in besorgtem Ton.

Im Weg stehen seine Kollegen und sein Naturell.

Ein Missgeschick mit Folgen

Einmal in seinem Leben geriet Michael Aebersold so richtig in den Fokus. Mehr als ihm lieb war. Vor vier Jahren verschickte er in seiner Funktion als BFE-Sek­tionschef für radioaktive Abfälle einen anonymen Brief ohne ­Absender und Begleitschreiben. Thema des Briefes war ein aufsässiger Atomkritiker, Geologe und alter Bekannter Aebersolds, den vor allem die Mandate und Honorare des Mannes interessierten. Empfänger des Briefes war ein Lobbyist einer renommierten PR-Agentur. Offiziell ging es um ein Auskunftsbegehren. Man kann die Causa aber auch anders auslegen: Ohne Spuren zu hinterlassen, klärte Aebersold bei einem Schattenmann ab, wie ein unliebsamer Kritiker mit einer Kampagne diffamiert werden könnte.

Wie auch immer: Ganz ohne Spuren zu hinterlassen, ging es dann doch nicht. Weil der Brief mangelhaft adressiert war, landete er ausgerechnet beim Atomkritiker. Die Post hatte das anonyme Schreiben zuvor geöffnet und es dem Kritiker weitergeleitet, weil im Brief von ihm die Rede war. Der Fall kam diesen Frühling ans Licht, just zwei Wochen nach Aebersolds Nomination für den Gemeinderat.

Aebersold und das BFE wiesen damals die Diskreditierungsvorwürfe zurück. Und Aebersold sagte, er habe bloss im Auftrag seines Chefs das Couvert abgeschickt. Es sei eine alte Geschichte und alles dazu gesagt, sagt er heute. Es sei schwer einzuschätzen, was die Sache für einen Eindruck bei den Leuten hinterlassen habe. Eine mögliche Antwort gibts von der Strasse. Und sie zeigt Aebersolds Dilemma. Der Mann, der Endlager für unsere radioaktiven Abfälle sucht, der Mann, der das Zeug unter die Erde bringen soll, dieser Mann ist gegen Atomstrom. Aber einige halten ihn für einen Atombefürworter. «Du kommst so rüber», sagt ein Passant zu ihm.

Für oder gegen Atomenergie?



Aebersold sagt, er habe keine Feinde, nur politische Gegner. Nicht ein politischer Gegner, aber Konkurrent bei den Wahlen ist GFL-Mann Alec von Graffenried. Die beiden sind sich in vielem ähnlich: politische Ausrichtung, Netzwerk, lange Politkarriere, beide Bernburger. Aber von Graffenried ist ein Strahlemann. ­Aebersold nicht. Ihr Wahlkampf ist verschieden. Aebersold hofft auf die bessere Basis. Tatsächlich hat er sich in der SP eine Hausmacht aufgebaut. «Ich kann auf meine breite Basis zählen», sagt er. Die Listenstärke ist entscheidend bei Proporzwahlen. Von Graffenried hingegen dürfte von vielen Genossen von der RGM-Liste gestrichen werden.

Michael Aebersold tut sich schwer mit dem Wahlkampf. Er fällt nicht sonderlich auf. Aber das macht vielleicht gar nichts. Der Mann hat eine Basis, das ist sein Verdienst. «Es gibt die Promis in den Medien, und es gibt die Chrampfer hinter den Kulissen», sagt er dazu.

Die Basis hält zu ihm

Bilder: Iris Anderegg
Text: Tobias Marti
Umsetzung/Video: Claudia Salzmann

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